Ausgabe 03 - 1999berliner stadtzeitung
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Statt Forum Taten?

"Stadt und Migration" in der 75. Sitzung des Stadtforums

In Berlin, der vermeintlichen "Integrationswerkstatt Deutschlands" mit 13% Ausländeranteil, wurde Migration mal nicht als Bedrohung des sozialen Friedens, sondern als geschichtlicher Prozeß, ökonomische Chance und sogar bevölkerungspolitische Notwendigkeit dargestellt.

Überalterung der Bevölkerung, weitere Gefährdung der ohnehin prekären Rentenversorgung und sogar Aussterben der Stadt wären zulässige Schlußfolgerungen aus Bevölkerungswissenschaftler Rainer Münz´ Ausführungen. Berlin weist zur Zeit ein negatives Bevölkerungssaldo auf (Sterbefälle überwiegen Geburten). Die Ausländerbeauftragte Barbara John ergänzt, daß lediglich 3,4% der ausländischen Mitbürger, aber 15% der deutschen über 65 Jahre alt sind. Migration als Populationskorrektiv?



"Migration hilft der Gebietskörperschaft nur dann, wenn Migranten arbeiten, in die Sozialkasse einzahlen, Steuern zahlen", so Münz. John versucht, das Bild des "faulen Fremdländers" mit ausgestreckter Hand zu revidieren. Obwohl Ausländer oft "jung, strebsam, aufstiegsorientiert und unternehmerisch orientiert" seien, wird ihnen die Integration in das Gastland über den Arbeitsplatz oft verwehrt. Flüchtlinge haben Arbeitsverbot, Ausländer dürfen nicht unter Tarif arbeiten, nachgezogene Ehepartner erhalten erst nach vier Jahren eine Arbeitserlaubnis. Nach einem Jahr Arbeitslosigkeit gilt man als schwer vermittelbar. Auch ausländischen Arbeitgebern wird die Schaffung von Arbeitsplätzen erschwert. Von den 5500 türkischen Betrieben in Berlin können die wenigsten ausbilden, weil die Qualifikation der Inhaber in Deutschland nicht als meisteräquivalent anerkannt werden.

Überhaupt sei Deutschland in Johns Augen ein "Entwicklungsland" in Sachen Ausländer- und Migrantenpolitik. Trotz 300.000 Zuwanderern jährlich betrachtet sich Deutschland nicht als Einwanderungsland.

Deshalb beklagt Münz die mangelnden gesetzlichen Kriterien der Zuwanderung und fordert eine Betrachtung der Migration gesondert von der humanitären Verpflichtung der Asylgewährung, damit eine "positive Selektion aus dem Ursprungsland" nach Deutschland kommt. Er zitiert als Vorbild die strengen Quotenregelungen von Kanada.

Damit das Stadtforum seinem praktischen Anspruch und Berlin dem Anspruch als "Integrationswerkstatt Deu-tschlands" gerecht werden, müßte die Sitzung eine stadt- und bundesweite Diskussion auslösen, in der Maßnahmen erarbeitet und umgesetzt werden, die das Zusammenleben aller Beteiligten erleichtern und als Bereicherung gestalten.


Natalie Gravenor/Mareike Meyer

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  Ausgabe 03 - 1999