Ausgabe 03 - 1999berliner stadtzeitung
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Von der Angst zu lieben und geliebt zu werden

Luis Bu–uel und Rainer Werner Fassbinder im Vergleich

Das Filmkunsthaus Babylon zeigt im Schwerpunkt seines März/April-Programms "Der Surrealismus und seine Gefolgschaft" die wichtigsten Filme von Luis Bu–uel, das Lichtblick-Kino im März und Anfang April eine Werkschau von Rainer Werner Fassbinder. Eine seltene Gelegenheit, die beiden unmittelbar zu vergleichen.

Bu–uel könnte der Vater, wenn nicht sogar Großvater von Fassbinder sein. Und doch ist er ein Jahr nach Fassbinder gestorben - Fassbinder 1982 kurz nach seinem 38. Geburtstag, Bu–uel 83jährig. Bu–uel wird zwar, teilweise auch zu Recht, stark mit der Pariser Avantgarde der 20er und 30er und speziell mit dem Surrealismus in Verbindung gebracht, nicht zuletzt wegen seiner beiden außergewöhnlichen Filme "Ein Andalusischer Hund" (1928) und "Das Goldene Zeitalter" (1930), der Großteil seiner Filme ist aber in den 60er und 70er Jahren entstanden. Die Filme sind wie auch die von Fassbinder Psychogramme ihrer Figuren und ihrer selbst, die durch ihre individuelle und starke Bildsprache ihrem jeweiligen Werk einen ganz typischen Charakter verleihen.

Was die beiden Filmemacher am meisten verbindet, sind die Themen und die Schlichtheit der Umsetzung, wobei die Schlichtheit besonders Fassbinder als Stilmittel zugeschrieben wird. Das entscheidende Moment ist bei beiden vor allem im Geringhalten der Produktionskosten und der Konzentration auf das Wesentliche zu sehen. Oft wird man aber auch vom Gefühl beschlichen, daß Fassbinder im Grunde genauso âsurreal´ wie Bu–uel ist. Oder wie sind 30 verschiedene Zahnpastasorten zu bewerten, die in der Supermarktsequenz in Fassbinders "Liebe ist kälter als der Tod" von 1969 auftauchen?

Ihre Themen: Religion, Sexualität, der Mensch. Oder lassen wir es verschmelzen zu Moral - wobei Moral nicht zu verwechseln ist mit moralisch! Dabei wirkt Bu–uel freier, aus leicht elitärem Abstand. Bu–uel träumte seine Filme; Fassbinder lebte sie. Auch die Situation in Deutschland ist - nicht nur damals - eine viel verklemmtere. Die NS-Zeit, das geteilte Land, aber vor allem der Materialismus und die Wirtschaftsmacht sind Tabuthemen, die ins Gegenteil umschlagen.

Im Film "Dieses Obskure Objekt der Begierde" (1977) läßt Bu–uel sein begehrenswertes Objekt für Touristen nackt Flamenco tanzen. Wie man die Szene auch deutet - der Flamenco, ihre Tracht bevor sie nackt tanzt, sie bleiben unangetastet. Fassbinders "Lili Marleen" (1980) singt in einer kleinen Kneipe für NS-Offiziere. Details am Rande: Die Lederhosen und die Blasmusik dienen dem Aufbau der negativen Stimmung und müssen daran glauben - ein wesentlicher Unterschied, der weit über die Filme und Filmemacher hinausgeht! Demgegenüber spielt eine Reihe der Filme von Fassbinder im alltäglichen, unpersönlichen Großstadtmilieu des kleinen Mannes: Putzfrau, Sportjournalist, Gemüsehändler, Arbeitslose,... So etwas gibt es bei Bu–uel nicht. Bu–uel war nur intellektuell ein Linker - er hätte es auch nie anders sein können. Er war mehr der genaue Betrachter von außen, der seine unerfüllten Wünsche in Filmen auslebte, war dabei aber auch witzig und nahm sich selbst aufs Korn. Obwohl Bu–uel sich als Atheist sah, war er religiöser, zugleich aber auch freier als Fassbinder. Neurosen und Angst davor, Emotionen auszuleben, hatten sie beide. Man könnte sagen, Fassbinder hat die Gesellschaftskrankheit in fortgeschrittenem Stadium - mit resistenteren Viren - erwischt.

Dabei war es bei Bu–uel mehr der körperliche Kontakt - die Sünde, schönes Beispiel dafür seine "Viridiana" (1961), die auch auf Fassbinder großen Eindruck gemacht hat. Mehr sind es fehlende Zuneigung und Wärme, die die Filme Fassbinders ausdrücken, und das am besten im Titel "Ich will doch nur, daß ihr mich liebt. Der Filmemacher Fassbinder" von 1975 zum Ausdruck kommen.

Auch ohne Vergleich eine Reihe sehenswerter Filme...


martin

Filmkunsthaus Babylon ,Rosa-Luxemburg-Straße 30, fon:242 50 76
Lichtblick-Kino, Kastanienallee 77, fon:44 00 88 43


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