Ausgabe 03 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Jean Rochefort in der Gestalt des Bösen

"Barracuda - Vorsicht Nachbar" von Philippe Haim (F 1997)

Eine Klingel schellt unangenehm laut, und durch den Spion einer Wohnungstür sehen wir verzerrt draußen zwei Personen. Die Tür öffnet sich nicht, und das bleibt mit wenigen Ausnahmen den ganzen Film über so. Das Refugium des Monsieur Clément alias Jean Rochefort hat mit dem Draußen nichts zu tun. Die dunklen Räume beherbergen eine Welt, die aus den Reliquien und der Musik von Fred Astaire besteht.

Auch wenn Clément die Hoffnung auf menschliche Nähe längst aufgegeben hat, nutzt er die sich unverhofft bietende Gelegenheit, seinen neuen Nachbarn Luc einzuladen. Luc ist jung und voller Leben und Liebe. Der Heißsporn vergißt die Einladung zum Abendessen, während Clément wartet und wartet... Schließlich holt Clément seinen langersehnten Gast und stellt ihn seiner Frau Violette vor. Violette ist elegant, etwas einsilbig, widerspricht aber manchmal lautstark. Violette ist eine Schaufensterpuppe. Luc bietet da eine willkommene Abwechslung und so behält ihn Clément die nächsten Monate bei sich. Da sich Luc verständlicherweise wehrt, legt Clément harte Bandagen an und bedient sich auch schon mal eines Feuerlöschers, um den widerwilligen Gast zum Schweigen zu bringen...

Monsieur Clément ist einer von unzähligen einsamen Menschen in Städten. Ihre Geschichten sind tragisch und die Mechanismen ihres Überlebens vielgestaltig. Clément hat Phantasie und "schafft" sich fehlendes Leben. Daß er die Grenzen zwischen Wunsch und Realität überspringt, scheint folgerichtig. Aber die psychologisch so diffizile Gestalt des Monsieur Clément wird zum Barracuda, zum Raubfisch, zum Bösen, gemacht. Der Gute heißt natürlich Luc, und so sind die Fronten klar. Die Handlung verliert dadurch spätestens nach 30 Minuten an Spannung und Tiefe. Kammerspiele bieten die Chance höchster Konzentration auf die Psyche der Charaktere und erfordern eine entsprechend differenzierte Figurenzeichnung. Zu wenig verläßt sich Regiedebütant Philippe Haim auf die schauspielerischen Qualitäten des Grandseigneurs Jean Rochefort (der dem Film dennoch einige unvergeßliche Momente gibt) und setzt stattdessen auf Sound- und Bildeffekte. Der Barracuda erhält am Ende seine gerechte Strafe, und die Welt ist wieder in Ordnung. Tatsächlich?

Man kann dem Jungregisseur ein Feeling für knisternde Situationen nicht absprechen, und wer Filme mit geradliniger Erzähldramaturgie, Aktion und harten, überraschenden Effekten bevorzugt, kann durchaus Spannung erleben. Wer jedoch auf ein fein akzentuiertes psychologisches Kammerspiel hofft, wird enttäuscht werden.


Berit Wich-Heiter

Ab 15.4. im Kino.

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