Ausgabe 03 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Schwindsucht ?

Hätte ich TBC, dann führe ich zur Kur, das ginge so: Berlin, Nürnberg, Amberg, Cham. Cham, das Ventil zur guten, klaren Luft des Bayrischen Waldes. Cham, die - hä? - die Maulwurfshügelstadt. Überall Maulwurfshügel. Jedenfalls hier am Bahnhof. Die Reise ist noch nicht zu Ende. Am Prellbock steht ein Schienenbus. Sein Gleis biegt sich zum Ort hinaus und verliert sich, irgendwo da hinten, in einem weißen Wald. Ich denke, was ich immer denke, wenn ich einen Schienenbus sehe. Ich denke: "Ferkeltaxe. Der Berliner würde dazu Ferkeltaxe sagen." Ich prüfe meine Reaktion auf diesen Gedanken. Nein, wieder nichts. Ob ich wohl jemals werde schmunzeln müssen beim Ferkeltaxedenken?

Und was dann? Vielleicht ist dies Ziel und Endzweck meines Lebens: daß ich beim Ferkeltaxedenken schmunzle. Man weiß ja wirklich nicht allzu genau, was der liebe Gott bei seinem Tagwerk sich so denkt. Noch ist es nicht passiert. Aber irgendwann, wenn ich mal besonders albern bin und ganz kicherig gelaunt, dann läuft mir ein Schienenbus über den Weg, ich denke Ferkeltaxe, schmunzle, hihi, und: "Na endlich", stöhnt der alte Herr da oben, "wurde ja auch Zeit", und knipst mein Licht aus. Junge, Junge.

Der Ferkeltaxekutscher steht neben dem Gleis und raucht. Dann nimmt er einen Spaten, gräbt ein Loch, ein tiefes Loch, und wirft den Zigarettenstummel rein. Und buddelt wieder zu. Cham. Die Maulwurfshügelstadt. "Auf geht´s!" ruft der Fahrer, aus der Bahnhofswirtschaft kommen dreißig Waidmänner im grünen Rock gelaufen, ein ganzes Waldhornblasorchester mit dreißig goldnen Tröten, der Fahrer macht die Räuberleiter, und die Forstbeamten klettern eichhörnchenflink dem Schienenbus aufs Dach. Der Fahrer stellt sich an den Prellbock, winkt mit seiner Kelle, pfeift, und rennt nach vorn zum Führerstand. Los geht´s!

Vorn sitzt auch, gleich hinterm Fahrer, ein dünner, blasser Mann mit Segelohren und hustet in ein Zellstofftaschentuch. Armer, blasser Mann. Ich bin fein raus, wenn der Schienenbus am Zielort auf den Prellbock rauscht. Ich sitze hinten. Aber ich sage immer: Schienenbusfahren, da hat jeder seine eigene Strategie, das muß jeder mit sich ausmachen, kein Mensch ist wie der andere.

"Brumm, brumm", brummen zwei Sechszylinder-Diesel mit zweimal 15 Pferdestärken, "hü, hü", befiehlt der Kutscher, "und jetzt in den Galopp!" Die Motoren röhren, 9 km/h! Nein, mit einem Schienenbus, da macht man wirklich keinen Stich beim Eisenbahnquartett.

Der mit den Segelohren röchelt und schreibt was in ein kleines Heftchen. Der Fahrer glaubt sich unbeobachtet, er reckt und streckt sich, beide Hände überm Kopf. Ja, Schienenbusfahren macht müde. Hey, oh Gott, der fährt ja freihändig! Man bloß gut, daß der Schienenbus auf Schienen fährt, sonst wär das jetzt total gefährlich gewesen. Und da kommt auch schon wieder ein Bahnübergang, ein unbeschrankter, der Fahrer lacht und ruft zum Fenster raus: "jetzat!", und dreißig Bläser auf dem Dach stoßen ins Horn, ein langgezognes Mööök, und mit gespieltem Entsetzen spritzen die Autos links und rechts weg, "hoho, da kommt der gefährliche Schienenbus", und geben den Weg über die Straße frei.

Früher warn sie dunkelrot, die Schienenbusse. Jetzt haben sie alle möglichen Farben, in jeder Gegend eine andere und alle paar Monate wechselnd, heuer trägt der Schienenbus von Welt am liebsten himmelblau oder kurzvormkotzengrün.

Die Segelohren reißen mich aus den Gedanken. Sind einfach zu mir nach hinten geflattert. Krächzen: "Grüß dich, husthust, ich bin der Franz. Hör mal, was ich geschrieben habe." Ich hör ihm zu, und anschließend muß er mir zuhörn: "Früher aber", sprech ich in die Segelohren, "früher aber waren die Schienenbusse dunkelrot, und sie flitzten über die verschneiten Wiesen wie blutige Spucke durchs Waschbecken."


Bov Bjerg

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