Ausgabe 02 - 1999berliner stadtzeitung
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Miniunternehmertum in Grauzonen

Zur Neuregelung der Scheinselbständigkeit

Seit 1. Januar 1999 hat sich Gesetzeslage zur Eindämmung der Scheinselbständigkeit geändert. Durch neue Abgrenzungskriterien soll eine Vielzahl von bisher sozialversicherungsfreien Beschäftigungen in abhängige, und damit versicherungspflichtige Tätigkeiten umgewandelt werden.

War es bisher schwierig für die Scheinselbständigen, gegenüber dem Auftraggeber durchzusetzen, daß sie eigentlich eine feste Stelle mit allen Rechten, wie beispielsweise Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und bezahlten Urlaub beanspruchen können, gibt es jetzt neue gesetzliche Möglichkeiten. Doch gleichzeitig sind nun beide Seiten verpflichtet, in die Sozialkassen einzuzahlen. Bei den oft nicht üppig bezahlten Tätigkeiten bleibt dann nach allen Abzügen recht wenig unter dem Strich übrig, denn welcher Arbeitgeber ist schon so ohne weiteres bereit, wegen einer Gesetzesänderung die Bezahlung zu erhöhen?

Für Arbeitgeber gibt es viele Möglichkeiten, ihre Betriebskosten zu senken. Eine davon ist, jemanden zwar zu beschäftigen, ihn aber nicht anzustellen. Mit dem schönen Begriff "Outsourcing" wird diese Vorgehensweise geadelt und als "Selbständigkeit" deklariert - so daß es im Nu eine Menge Kleinstunternehmer gibt, die alle risikofreudig ihr Schicksal in die zupackenden Hände nehmen. Es muß der Himmel auf Erden für jeden Vorsitzenden des BDI sein. Leider ist die Euphorie doch recht einseitig verteilt, denn die "Selbständigen" haben kaum eine Wahl in ihren "unternehmerischen Entscheidungen". Von Eigenverantwortlichkeit kann gar keine Rede sein, denn diese "Selbständigkeit" bedeutet meist die gelegentliche Mitwirkung bei verschiedenen Auftraggebern oder eine regelmäßige Beauftragung durch immer denselben Arbeitgeber. Entsprechend der dehnbaren Merkmale von Selbständigkeit bzw. abhängiger Beschäftigung existierten bisher erhebliche Grauzonen, die ausgiebig genutzt wurden.

Es geht um 10 Milliarden

Seit Januar ist Schluß damit. Insbesondere die Sozialversicherungsträger haben darauf gedrängt, falsche Selbständige aufzuspüren und aus dieser Quelle Beiträge abzuschöpfen. So schätzt die Bundesanstalt für Arbeit die Zahl der Pseudoselbständigen auf 180 000 bis 430 000, weitere 280 000 werden als halbabhängig eingestuft. Sogar auf 1,5 Millionen wird die Zahl der scheinselbständigen Nebenbeschäftigungen angesetzt. Alles in allem gehen die Sozialkassen von rund 10 Milliarden verlorenen Einnahmen aus.

Zur Prüfung, ob ein Job als "Scheinselbständigkeit" eingestuft und damit ab sofort versicherungspflichtig wird, gelten ab sofort folgende vier Kriterien: Der Selbständige beschäftigt außer Familienangehörigen keine pflichtversicherten Arbeitnehmer. Wer also allein oder lediglich mit Familienangehörigen Aufträge annimmt und bearbeitet, erfüllt ein wichtiges Merkmal der Scheinselbständigkeit.

Er ist im wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig. Alle Selbständigen und Freiberufler, die im wesentlichen von einem einzigen Auftraggeber abhängig sind, sind auch von dessen unternehmerischen Entscheidung abhängig. Ein eigenverantwortliches Wirtschaften findet nicht statt.

Er erbringt für Arbeitnehmer typische Arbeitsleistungen, hat insbesondere Weisungen seines Auftraggebers zu befolgen und ist in dessen Arbeitsorganisation eingegliedert. Wer zum Beispiel tagtäglich in den Räumen einer Presse- oder Werbeagentur tätig ist und dort nach Vorgaben seine Aufträge erledigt, der ist vermutlich nicht selbständig. Auch dann nicht, wenn er am Monatsende eine Rechnung über erbrachte Leistungen stellt.

Er tritt nicht unternehmerisch am Markt auf. Ein Nachhilfelehrer, der im Auftrag eines Lehrinstituts tätig ist, ohne zum Beispiel seine Stundenpreise selbst festlegen zu können und ohne für seine Dienste auf dem freien Markt zu werben, ist aller Wahrscheinlichkeit nach nicht selbständig.

Beweislast umgekehrt

Sobald zwei dieser Kriterien zutreffen, geht der Gesetzgeber davon aus, daß es sich um eine Scheinselbständigkeit handelt und daß der Auftragnehmer eigentlich ein Arbeitnehmer ist, mit allen Rechten und Pflichten eines abhängig Beschäftigten. Beide Vertragspartner haben allerdings die Möglichkeit, die Vermutung der Scheinselbständigkeit zu widerlegen. Mußte früher behördlicherseits die Scheinselbständigkeit nachgewiesen werden, wird nun die Beweislast umgedreht und der Selbständige muß im Zweifel nachweisen, daß er ein echter und kein scheinbarer ist. Sollte ihm dies gelingen, kann der Gesetzgeber noch mal nachfassen und das Arbeitsverhältnis als "arbeitnehmerähnliches selbständiges" definieren, wenn folgende zwei Situationen vorliegen:

Im Zusammenhang mit der selbständigen Tätigkeit werden außer Familienangehörigen keine weiteren versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt. Im wesentlichen wird nur für einen Arbeitgeber gearbeitet. Treffen diese Verhältnisse zu, so muß der "arbeitnehmerähnliche Selbständige" Rentenversicherungsbeiträge zahlen, und zwar den vollen Beitrag bezogen auf ein fiktives Einkommen eines Selbständigen (von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte festgelegt), sofern der Versicherungsnehmer nicht per Steuerbescheid ein anderes Einkommen nachweist.

Wem nützt das alles?

Wird dadurch nicht jedes neue Job- und Beschäftigungswunder im Keim erstickt? Leiden die Familienbetriebe nun besonders darunter? Findet ein Verdrängungskampf auf Kosten von Kleinbetrieben statt? Der Gesetzgeber geht insbesondere bei den "arbeitnehmerähnlichen Selbständigen" von einer Schutzbedürftigkeit aus, dem die neue Gesetzgebung Rechnung trägt. Die gesetzlich geregelte Sozialversicherung soll wenigstens teilweise auch bei ihnen greifen, um vor allem die Altersvorsorge durch die vielbeschworene Solidargemeinschaft der Versicherten aufzufangen. Ob das überall auf Gegenliebe stößt, bleibt fraglich. Zu greifbar ist der Verdacht, daß nur die Versicherungskassen aufgefüllt werden sollen, um den kurz- und mittelfristigen Zahlungsverpflichtungen überhaupt noch nachkommen zu können. Wie weit die heute Einzahlenden noch in den Genuß der späteren Leistungen können, ist eh umstritten.

Für manche erscheint es mittlerweile viel lukrativer und auch sicherer, über eine Geldanlage für die eigene spätere "Rente" zu sorgen, anstatt in einen Solidarfonds mit Generationenvertrag einzuzahlen, dessen Zukunft ziemlich ungewiß ist. Ganz im Sinne eines unternehmerisch denkenden Selbständigen. Womit sich der Kreis doch wieder schließt. Fest steht, daß seit 1991 die Anzahl der versicherungspflichtigen Beschäftigungen um sieben Prozent gesunken ist. Und mit Sicherheit wird die neue Gesetzgebung eine ganze Reihe von Ausnahmeregelungen hervorbringen, um soziale und finanzielle Härten zu vermeiden. Neben dem erhöhten Verwaltungsaufwand werden dabei üblicherweise auch neue Schlupflöcher und Grauzonen entstehen.
sas

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