Ausgabe 02 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Die stille Leere mancherorts

Architektur im Wartestand an der Rosenthaler Straße

Ungewöhnlich, die Tatsache, daß eine Marketing-GmbH den Berliner Bürgern eine großzügige, "künstliche" Installation mitten im öffentlichen Raum zur Verfügung stellt.

Die Rede ist vom derzeitigen Baustop status quo an der Ecke Rosenthaler / Gipsstraße, dem neu entstehenden "Rosenthaler Hof". An diesem Punkt nämlich, wo eine stark frequentierte Kreuzung als "Tor zur Mitte", zur trivialen Gehmeile um den alten und Neuen Hackeschen Markt dient, sollten im mittleren von drei Bauteilen allein 11000 m2 Gewerbe/Bürofläche und 500 m2 Ladenfläche entstehen.

Statt dessen schreit einem nun aber eine luftige Leere entgegen, erstarrte Zeit. Die gewohnte Konzentration von Dichte hinsichtlich Kommunikation, kommerzieller Bedeutung und architektonischer Gestalt an solch einem zentralen Eckpunkt löst sich in "Gebautes Nichts" auf.

Dem voraus geht ein heikles Thema. Baut man auf Leerstand oder nicht? Spielt man mit dem reinen Marktsteigerungswert eines Grundstücks und besitzt die Basis, auf einen sicheren Großnutzer warten zu können, oder baut man risikofreudig drauflos? Trotz der zentralen Lage ist letzteres bei den derzeitigen Immobilienverhältnissen in Berlin sicherlich kein vernünftiger Zug. Die "Arc Op Marketing GmbH" fungiert als Bauherr und hat als solcher den Bau einstweilen eingestellt bis ein Hauptnutzer gefunden ist was morgen oder auch erst in einigen Monaten sein kann. Solange liegt die Fläche brach.

Gedämpftes Treiben begleitet einen auf dem Weg durch die Spandauer Vorstadt. Ein breitgefächertes, ungeordnetes, aber gewachsenes System, bestehend aus Pfennigläden, subversiven Brachen und extravaganten Designershops, stößt auf diesen gegenwärtigen Punkt.

Ist das Kunst?


Mancheiner verharrt vor dieser Situation. Ein grüner Maschenzaun unterstützt das Gefühl der Distanz und Befremdung, und doch begleitet einen diese Fläche: Die Wahrnehmung findet in der Bewegung statt, zieht sich entlang und eröffnet einem den Raum und die Zeit. Der Rhythmus ist durchbrochen, aus dem Schritt gekommen, und der Gedankenfaden verloren. Man versucht, diese Ruhe zu verstehen, bis man die nächste schreiende Ladenfassade erreicht hat. Ist das Kunst?

Das verwendete Material ist Beton, authentisch, seinem funktionalen Kontext schon lange enthoben, ist es nicht nur Architekten ein vertrauter Anblick. Sichtbeton steht für formale wie inhaltliche Schlichtheit. Seine Beschaffenheit vermittelt Stille und Reduziertheit und steht damit dem Exhibitionismus im innerstädtischen Milieu entgegen.

Auf einem sich verjüngenden Grundriß wurde die Bodenplatte betoniert, die Schalungsbretter hinterließen ihre eindeutige Struktur. An manchen Stellen sammelt sich das Regenwasser, so daß sich die Fläche durch verschiedene Grauabstufungen wie eine Landkarte lesen läßt. Die Betonstützen, die stumpf aus dem Boden dringen, wirken eher zufällig und willkürlich gesetzt. Ohne ihre tragende Funktion vermitteln sie einen unbeholfenen Eindruck und es scheint, daß sie in ihrem Drang, nach oben zu streben, von irgendeiner unterirdischen Kraft abgebremst worden sind.

Und als ob jemand Spannungsfelder kreieren wollte, stehen Betonkuben, gruppiert oder separat, parallel oder zueinander fluchtend in diesem Raum. Sie verbergen, uneindringbar, der Zugang zur Tiefgarage. Detailiert ausgearbeitete Holzstege fangen im Nichts des Raumes an und enden folgerichtig vor einem Nichts, einer verschlossenen Metalltüre.

"Die Leere des Raums ist nicht nichts, auch kein Mangel, sondern vermutlich (...) mit dem Eigentümlichen des Ortes verschwistert und darum kein Fehlen, sondern ein Hervorbringen." (Martin Heidegger, "Die Kunst und der Raum", 1969)

Grauer Stillstand

Will man städtebauliche Prognosen abgeben, stößt man zum einen immer wieder auf den "classic revivalist", in Berlin bestens bekannt durch die preußischen Verfechter der Schloßrekonstruktion - ein hilfloser und sentimentaler Historismus, ohne Vertrauen in das positive Potential, junger, zukunftsorientierter Gegenwart. Zum anderen taucht der berechnende, konsumkonzentrierte Gestalter auf, der versucht, den natürlichen und gewöhnlichen Raum so gering wie möglich zu halten und durch Effizienz zu ersetzen.

Vom Masterplan bis zur städtischen Bushaltestellte, Stellungnahmen, Kommentare, dogmatische Versuche, städtebauliche Analysen und nächtefüllende Diskussionen; in Berlin wurde in den letzten Jahren undenkbar viel geplant, immerhin muß die Hauptstadt im Jahr 2000 fertig sein, für wen auch immer.

Und in dieser drängenden Situation passiert sowas, in direkter Nachbarschaft zu den bereits glänzenden Hackeschen Höfen, dem Aushängeschild "Aufbau Ost" und Markenzeichen für das dynamische "Neue Berlin", dieser graue Stillstand. Als Baustelle ist der entstehende Rosenthaler Hof durchaus ein gewohnter, ordinärer Anblick in Berlin. Und dennoch hält er als unbesetzter Raum Platz frei für den der ihn sieht. Dieser Ort ist nicht determiniert, für jedermann erreichbar, ließe man sich darauf ein.

Öffentlichkeit und öffentlicher Raum sind die Essenz sozialer Prozesse und der politischen Ordnung einer Stadt. Als solchen sollte man den Moment wahrnehmen und sich der noch stillen Leere dieses und manch anderen Ortes in Berlin bewußt werden.

Die großformatigen, hochangebrachten Werbetafeln verkünden weiterhin, daß hier irgendwann ein repräsentatives Bürobegäude hingesetzt werden soll. Auch wenn der Eigensinn solcher Brachen in ihrer An-Ästhetik besteht und sich jeglicher Inszenierung verwehrt, wäre ich eigentlich gespannt, was passieren würde, wenn man den Zaun wegreißen und eine Lampe und eine Bank aufstellen würde.
Bettina Darmawan

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  Ausgabe 02 - 1999