Ausgabe 02 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Peinliche Musik für die Massen

Blumfeld: Old Nobody (Zick Zack/Big Cat) Die Goldenen Zitronen haben die "Hamburger Schule" schon totgesagt - sie hatten recht. Blumfeld haben als eine ihrer Hauptvertreter sie nun selbst zu Grabe getragen. Ihre neue Platte "Old Nobody" klingt mehr nach Münchener Freiheit als nach Hamburger Schule.

Blumfeld ist vor allem Jochen Distelmeyer. Seine Texte hatten etwas zu sagen - was selten genug ist. Das Räsonieren über das Verhälnis zwischen sich selbst und der Gesellschaft brachte der Hamburger Schule das Etikett "Diskurspop" ein. Aber daran brauchte man sich ja nicht zu stören. Nach den ersten beiden Platten "Ich-Maschine" und "L´Etat et moi" passierte aber über vier Jahre lang gar nichts mehr. Man glaubte schon, Blumfeld hätte sich für den Kultstatus entschieden - im Gegensatz zu Tocotronic etwa, die das Modell "Rockstar" verfolgten, indem sie in kürzester Zeit eine Platte nach der anderen auf den Markt warfen. Blumfeld machte sich rar und man gab schon die Hoffnung auf, daß da noch jemals etwas kommen würde. Und dann das! Jochen Diestelmeyer ist verliebt und macht keinen Hehl daraus. Lauter Liebeslieder, die so klebrig und zuckersüß sind, daß man Zahnschmerzen kriegt. "Muß ich das wirklich ganz alleine aufessen?" fragte die taz. Die Stücke heißen "Tausend Tränen tief" oder "So lang es Liebe gibt" und klingen auch so. Verzweifelt versucht der wohlmeinende Rezensent, irgendwo eine Ironie, ein Augenzwinkern zu finden - nirgends. Allenfalls der Mut zur romantischen Ballade verdient einen gewissen Respekt, auch wenn das Ergebnis hochnotpeinlicher Kitsch ist. Sollten die Erwartungshaltungen bewußt enttäuscht werden? Doch wohl nicht mit so einem unerträglichen Ärgernis. Auf Blumfelds Dankesliste stehen so viele integre Namen wie Ted Gaier, Schorsch Kamerun oder Rocko Schamoni. Warum hat bloß niemand von denen dem Jochen gesagt, daß das Bockmist ist? Na, ach, egal. ("Ich-Maschine" und "L´Etat et moi" sind noch erhältlich.)

Element of Crime: Psycho (Motor/L´Age d´Or) Gemütszustände stehen auch bei Element of Crime im Mittelpunkt. Die Texte auf ihrer zehnten Platte "Psycho" sind mitunter genauso peinlich und banal wie bei Blumfeld (z.B. auf der Single "Michaela sagt"). Doch während Blumfeld damit ins Schlagerfach abrutschte, bleiben Element of Crime bei ihrer Stärke, dem Chanson - da wirkt alles nur noch halb so schlimm. Der Titel der Platte deutet einen Ausflug ins Psychedelische an, doch man ist dazu geneigt, Küchenpsychologie damit zu assoziieren. Es finden sich auf "Psycho" durchaus einige schöne Sachen. Wenn es sich allerdings ständig um eigene und fremde Befindlichkeiten dreht, kommt bald der Wunsch auf, es möge mal wieder jemand über handfeste Dinge wie Neoliberalismus, den Atomausstieg oder den Ost-Timor-Konflikt singen.
Jens Sethmann

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 02 - 1999