Ausgabe 02 - 1999berliner stadtzeitung
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Drei Minuten 47 Tage

Douglas Gordons "5 year by drive v. bootleg (empire)" in der Neuen Nationalgalerie

Seit über dreißig Jahren lädt das Berliner Künstlerprogramm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) ausländische Künstler aller denkbaren Kunstgattungen nach Berlin, um, so der Anspruch, den Gästen "eine Begegnung mit Berlin" zu ermöglichen. Diese ergibt sich indes zwangsläufig, während die tatsächliche Ankunft der Residenten nur selten zu stande kommen will.

David Medella, - a jolly evening...

Es gibt auch Ausnahmen, wie etwa David Medella, der nicht nur in der hiesigen Schwulenszene einen, nun: so bescheidenen wie gelungenen Widerhall finden konnte. In seinem Fall mochte sich selbst die Galerie des DAAD in der Kurfürstenstraße in einen zeitgenössischen DADA-Kurort verwandeln. Die Einladung zu "A Jolly Evening of Anti-performance" war handgeschrieben, Getränke erhielt man gratis, hier und da roch es gut, Bilder wurden gemalt oder gebastelt und verschenkt, gelegentlich liefen junge Männer unbekleidet umher, eine echte Beatband gab ihr Bestes, d.h. eine sehr coole Musik mit Neigung zum Traum. - Aber das war im letzten Sommer, bei satter Luft und geöffnetem Balkon, am Abend - "in the dawn of a silvery day, when clouds seemed to melt away" (Can).

Douglas Gordon

Nun jedoch - es ist Mitte Februar - laufen grüne Punktreihen auf der Fassade des Kenzoturms am Potsdamer Platz umher; die Wege sind spiegelglatt und bieten keinen Halt, Schneefall, Silhouetten, die zum Kulturforum hasten; der eisige Wind frißt sich ins Gesicht, und so findet man kaum Zeit, das Schneetreiben, die von Windstößen unablässig getriebenen Flocken zu betrachten, die in den Neubauschluchten recht malerisch sich verlieren - zumal im Scheinwerferlicht dieser größten Filmkulisse Europas.

An der Neuen Nationalgalerie hingegen ist die Beleuchtung ausgeschaltet; das Gebäude liegt im Dunkel, so daß man von weitem schon die beiden Videoprojektionen der aktuellen Austellung erkennen kann. Einer der beiden etwa kinogrossen Bildschirme ist quer im Raum, in der Diagonalen gespannt, die andere Leinwand lehnt an einem der vier gewaltigen Pfeiler des van-der- Rohe-Baus. - Mit der weiteren Beschreibung beginnt nun das Problem dieser Arbeit, denn ihr Titel bereits verlangt Einweihung: "´5 year drive-by´ v. ´Bootleg (Empire)´". Er ist so befremdlich wie das, was auf den Bildschirmen erscheint, sobald es dunkel wird. Denn die Projektion erfolgt zwar über 24, nur wird sie bei Tage vom Streulicht, das über die Glaswände in die Halle dringt, überblendet.

5 year drive-by

"5 year drive-by" (dt. etwa: Fünfjahresvorüberzug) bezieht sich auf die Dauer der Filmhandlung des Westerns "The Searcher" (Der schwarze Falke) von John Ford. Bei garantiertem Happy-End braucht John Wayne hier nämlich fünf Jahre - daher der Titel der Installation, - um ein entführtes Kind wieder aufzufinden. Der Film selbst dauert 113 Minuten, die Installation knapp sieben Wochen. Alles weitere ist eine Rechenaufgabe, bei der die Dauer der Spielfilmhandlung gegen die Dauer des Filmes gesetzt wird. 5 Jahre verhalten sich zu 7 Wochen wie 113 Minuten zu grob gerechnet 3 Minuten. Gordon dehnt nun diese 3 Minuten auf die 47 Tage der Ausstellung; Einzelbild für Einzelbild, so daß eine Filmsekunde in der Projektion ungefähr 6 Stunden dauert. Man glaubt also nur ein Standbild zu sehen, während in Wirklichkeit eine Sequenz zu sehen wäre: Eine Gruppe von Reitern, die sich anschickt, vor bildschöner Westernkulisse einen Abhang herunterzureiten. Vorneweg wahrscheinlich John Wayne. Ton, Musik oder Geräusch gibt es in dieser Arbeit so wenig wie in "Bootleg (Empire)", dem zweiten Teil der Installation.

"Bootleg (Empire)"

Diesmal ist "Empire" das Zauberwort, und der verwendete Film "Empire State Building" von Andy Warhol. Allerdings verlangsamt Gordon hier nicht, er kehrt das Verfahren um und beschleunigt. Denn Warhols Film, der 8 Stunden lang das Empire State Building in New York zeigt, wird im Zeitraffer abgespielt, während Gordon zeigt, wie er diesen Film innerhalb von 2 Stunden mit der Handkamera von einem kleinen Bildschirm aufnimmt.

Zutritt frei

Wie gesagt: die Installation ist nur nachts zu sehen, wenn die Nationalgalerie geschlossen hat; ein Eintritt ist also nicht möglich, wohl aber freier Zutritt.
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Douglas Gordon "5 year drive-by" v. "Bootleg (Empire)", Neue Nationalgalerie, Potsdamer Str. 50, 18. Februar bis 5. April, abends/nachts

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