Ausgabe 02 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Ein Gespräch mit einem Boxer, der die Volksbühne plakatierte

Anmerkungen zu 1000 Plateaus

Die ganze Volksbühne hat Ulli Wulff mit seinem Namen plakatiert, und jetzt fordert er auch noch den berühmten Schauspieler Mathieu Carri¸re zum Boxen heraus. "Das ist mir jetzt zu billig", meinen zwei gebildete Damen, Besucherinnen des Kongresses "1000 Plateaus" in der Volksbühne, und wenden sich ab.

Ulli Wulff: "Ja, genau das ist es: richtig billig. An einem bestimmten Punkt sollte man so frei sein, dem Gegenüber einfach eine aufs Maul zu hauen oder sich selber aufs Maul hauen zu lassen, um eine neue Ebene des Gesprächs erreichen zu können. Ich habe diesen Schauspieler zum Boxen aufgefordert, weil ich merkte, es geht so nicht weiter, das verläuft sich nur noch; es war ja auch nicht so, daß die Leute einfach gegangen sind. Sie waren alle da, aber es ist nichts passiert. Nicht nur das Intellektuelle, wo alle sitzen und nicken und nicken. Das Boxen ist der Ausbruch aus so einem Kreislauf. Es entsteht ein neuer Kreislauf. Einerseits billig und andererseits preiswert."

Der große Schauspieler stürzt irgendwann mitten im Boxkampf zu Boden, steht wieder auf, kämpft weiter. Beide tragen fette Boxhandschuhe, das verringert die Verletzungsgefahr.

Ulli Wulff: "Das Interessante beim Boxen ist, daß Du die Außenwelt sofort umsetzt in einen Gegenschlag, du bist wahnsinnig angespannt und konzentrierst Dich nur noch auf den einen. Das ist eine ganz andere Konzentration als bei einem Wortgefecht. Und ich denke, es ist nichts ganz anderes, sondern eine andere Ebene derselben Auseinandersetzung mit anderen Menschen, die aber dazugehört. Die dann aber nicht eine Addition A + B ist, also kein neues Ganzes ergibt, sondern zwei Ganze, die weder einzeln sind noch ganz: A und B sind auf zwei verschiedenen Ebenen und werden dann noch auf eine dritte Ebene gehoben, wo dann A und B zusammen existieren können."

Höherer Schlagabtausch

Der Boxkünstler spricht in langen Sätzen und vermeidet, eine kulturelle Opposition aufzubauen, in der Anschauungen in "entweder - oder" gespalten würden, anstelle das eine durch das andere zu ergänzen - im Buch "Tausend Plateaus" (dem gedruckten Objekt der Verehrung der Volksbühnen-Veranstaltung) kann man dieses Prinzip genauer nachlesen.

Dem Boxer-Plakatierer ging es um eine sehr greifbare Umsetzung anstelle von theoretischem Wiederkäuen: "Sowohl hinter dieser Boxaktion als auch hinter der Plakataktion steht, daß der Name wie das Boxen sich gegen diese ständige Interpretation, gegen die Theoretisierung einer Theorie wendet. Das Boxen schafft es, daß Du eine Diskussion weiterführst, indem Du ihm einfach eine aufs Maul haust und damit die Theorie reichlich praktisch wird. Durch diesen Namen wird auch keine neue Theorie aufgestellt. Das Boxen führt die Diskussion fort und der Name stößt so eine Diskussion an."

Die Namensaktion ging ganz einfach: einige hundert Kopien, auf denen in großen Buchstaben "Ulli Wulff" steht, hängt der gleichnamiger Mensch in der ganzen Volksbühne an die Wände. Das verärgert viele, zumindest auf den ersten Blick. Kommentare: "Ulli Wulff find´ ich bis jetzt scheiße" oder "Ulli Wulff ist ein Egomane und Selbstüberschätzer, der die Welt regieren will."

Dazu Ulli Wulff: "... daß es nur auf diesen egozentrischen Aspekt reduziert wird, der eigentlich überhaupt nicht so gemeint war, der bloß der Ausgangspunkt ist. Es wurde ausgelegt als ,Das ist einer, der hat sehr viel Bezug zu seinem Namen, der findet seinen Namen so toll, daß er ihn ausstellt.´ Daß das Gegenteil der Fall ist, darauf kam, glaube ich, überhaupt keiner. Es geht überhaupt nicht um diesen einen Namen. Doch wenn ich jetzt zum Beispiel Sonnenblume hingeschrieben hätte, hätte es ja gleich wieder eine Bedeutung gehabt. Ulli Wulff hat ja für sich keine Bedeutung. Die Leute werden mit dieser mir und den Wänden aufgepappten Identität konfrontiert, aber außer dem Namen kennen sie nichts."

Daß tatsächlich ein wirklicher Mensch hinter dem Namen steht, will niemand richtig glauben. Die verständnislose Frage im Anblick der Plakate lautet viel eher: "Wie kommst Du auf ,Ulli Wulff´?" Und die vielsagende Antwort des Plakatierers: "Naja, ich heiß nun mal so."
Guido Rörick

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