Ausgabe 24 - 1998berliner stadtzeitung
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Fünf Jahre behutsame Verdrängung?

Eine Zwischenbilanz zur Stadterneuerung in Ostberlin

Vor fünf Jahren wurden in Ostberlin die ersten Sanierungsgebiete festgesetzt. Das ist Anlaß genug, eine Zwischenbilanz zu ziehen: Wird die behutsame Stadterneuerung ihrem Anspruch, die bauliche Sanierung der heruntergekommenen Stadtviertel zügig durchzuführen und gleichzeitig die dortigen Mieter vor Verdrängung zu schützen, gerecht? Den in Pastellfarben erstrahlenden Hausfassaden stehen Statistiken gegenüber, nach denen fast die Hälfte der Bevölkerung in den Sanierungsgebieten von Prenzlauer Berg "ausgetauscht" ist. In den anderen Bezirken sieht es nicht viel besser aus. Ob man dabei von einem Erfolg sprechen kann, wurde am 9. Dezember auf einer Diskussion in der Kulturbrauerei erörtert.

Die behutsame Stadterneuerung wurde in den 80er Jahren in Kreuzberg "erfunden". Nach dem Mißerfolg der Kahlschlagsanierung in den 60er und 70er Jahren sollte nun eine Sanierungspraxis gefunden werden, bei der sowohl die Häuser stehenbleiben, als auch die Mieter in ihnen wohnen bleiben können. Der Umfang der Sanierung wurde den Möglichkeiten der Mieter angepaßt, es wurden zum Beispiel oft die Kachelöfen in den Wohnungen stehengelassen, wenn der Mieter die Mietsteigerung durch den Einbau einer Zentralheizung nicht hätte zahlen können.

Dieses international vielbeachtete Modell sollte nach der Wende auch im Ostteil Berlins angewandt werden, doch es ließ sich nicht so einfach übertragen. Die erneuerungsbedürftige Bausubstanz war weitaus umfangreicher, gleichzeitig stand weniger Geld für die Stadterneuerung zur Verfügung. Statt nur mit öffentlichen Geldern zu sanieren, konnte der Senat lediglich versuchen, mit Fördergeldern die Investitionen der privaten Hauseigentümer anzukurbeln. Doch das wäre gar nicht überall nötig gewesen, denn anders als im Kreuzberg der 80er Jahre, wo sich Investitionen in alte Wohnhäuser für den Eigentümer kaum lohnten, herrscht im Osten im Hauptstadt- und Metropolenrausch ein hoher Investitionsdruck, der vor allem auf der Spandauer Vorstadt und dem Kollwitzplatz lastet. Um die Verdrängung der Bewohner durch Mietsteigerungen nach der Modernisierung zu verhindern, mußte eine Bremse eingebaut werden. 1995 wurden Mietobergrenzen erlassen, die je nach Größe und Ausstattung der Wohnung zwischen 4,32 und 9,00 DM/m2 (netto kalt) liegen. Soweit die Theorie.

Anspruch und Wirklichkeit

Wie die reale Entwicklung im ersten Drittel des auf etwa 15 Jahre angelegten Sanierungsprozesses zu bewerten ist, war auf der Podiumsdiskussion durchaus umstritten. Günter Fuderholz, langjähriger Leiter der Stadterneuerungsabteilung in der Senatsbauverwaltung, wertete die bisherige Sanierung größtenteils als Erfolg - verglichen mit der baulichen Situation von 1989 und mit den Sanierungsfortschritten in anderen ostdeutschen Städten. Daß so viele Mieter wegziehen, ist für Fuderholz mehr ein Resultat des derzeit entspannten Wohnungsmarktes. Daher könne der Wegzug nicht durch staatliche Mittel gestoppt werden.

Das rief den heftigen Widerspruch des Politologen Matthias Bernt hervor, der als Mitglied der Betroffenenvertretung Helmholtzplatz eine düstere Bilanz zog. Wenn man nicht nur das Ziel der baulichen Sanierung der Häuser im Auge hat, sondern auch den Schutz der Bevölkerung vor Verdrängung ernstnimmt, müsse man von einem "dicken Mißerfolg" sprechen. Die niedrigen Einkommensgruppen werden von den drohenden Mietsteigerungen am härtesten betroffen und folglich als erste verdrängt. In den Sanierungsgebieten von Prenzlauer Berg liegt die Mietbelastung durchschnittlich schon bei 30 Prozent des Haushaltseinkommens. Der Wohnungsmarkt ist auch nur in bestimmten Marktsegmenten entspannt. Alleinstehende Rentner können davon beispielsweise überhaupt nicht profitieren.

Bauliche und soziale Ziele

Karin Baumert, Stadtsoziologin und ehemalige Baustadträtin von Mitte, erkennt Tendenzen der Segregation und fordert, die sozialen Ziele künftig höher zu gewichten als die baulichen, um die soziale Mischung zu erhalten. Das heißt vor allem, für bezahlbare Mieten zu sorgen. Matthias Bernt lieferte eine Reihe von Vorschlägen dazu: Man könne den Sanierungsstandard herabsetzen, Mietermodernisierung besser fördern und neue Eigentümermodelle unterstützen. In erster Linie müsse man aber die Renditeerwartungen der Eigentümer langfristiger strecken, das heißt, die Gültigkeit der Mietobergrenzen verlängern. Zunächst galten die Mietobergrenzen nur direkt nach der Sanierung, danach konnten die Mieten dem Mietrecht entsprechend erhöht werden. In Prenzlauer Berg und Friedrichshain wurde die Gültigkeit des Mietlimits mittlerweile auf ein Jahr heraufgesetzt, in Lichtenberg auf sieben Jahre. Nach der Einführung des Vergleichsmietensystems sind auch im Osten Mieterhöhungen nach Maßgabe des Mietspiegels möglich. Für Matthias Bernt sind die Mietobergrenzen damit praktisch der "Sok-kelbetrag für weitere Mietsteigerungen". Zudem werden die Mietobergrenzen von findigen Eigentümern häufig umgangen. Das Bezirksamt Mitte hat kürzlich zwei Stellen eingerichtet, die ausschließlich die Einhaltung der Mietobergrenzen in den Sanierungsgebieten überwachen sollen.

Angesichts der langfristigen Angleichung der Mietobergrenzen an das höhere Mietspiegelniveau warf der Moderator Uwe Rada die Frage auf, ob die öffentliche Förderung dann nicht eine Subventionierung der Eigentümer ohne Gegenleistung sei. Günter Fuderholz hält das Mietspiegelniveau jedoch für das richtige, denn sonst habe man faktisch eine Sozialbindung. Immerhin habe man die Garantie, daß die Miete dauerhaft auf dem Mietspiegelniveau bleibt. Dem gegenüber gab Karin Baumert zu bedenken, daß die Mietspiegelwerte mit jeder Fortschreibung im Zweijahresrhythmus weiter steigen.

Die Eingangsfrage, ob der "Austausch" großer Bevölkerungsteile Verdrängung oder natürliche Fluktuation ist, konnte letztlich nicht einvernehmlich geklärt werden. Vielleicht bringt die Folgeveranstaltung "Zehn Jahre behutsame Stadterneuerung in Ostberlin", zu der Uwe Rada schon mal vorsorglich einlud, weitere Aufschlüsse. Wo und mit wem im Jahr 2003 darüber diskutiert wird, ist noch unklar.

Jens Sethmann