Ausgabe 23 - 1998berliner stadtzeitung
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Man muß ein bißchen eingehen auf das, was so passiert

Ein Gespräch mit Horst Evers

Der Kabarettist Horst Evers, irgendwo jenseits der Dreißig, ist seit Jahren regelmäßiger Gast in "Dr. Seltsams Frühschoppen" und zu Fußballzeiten im Ratibor-Theater. Zusammen mit Manfred Maurenbrecher und Bov Bjerg zieht er jede Woche im Schlot das "Mittwochsfazit". Seine kurzen Texte kreisen um die Mühen des Alltäglichen und das Leben als solches in Berlin. Letztes Jahr erschien eine Auswahl dieser Texte als schmaler Band mit dem Titel "Wedding" im Fahner-Verlag. Die Kunstfigur Evers gibt sich vor Publikum als ehrlicher Chronist mit dezenten Proll-Faktor mit offenem Hemd. Hinter der Bühne ist er überraschend zurückhaltend und ernsthaft, in einer Haltung, die ein Kolumnist einmal beschrieb als einen "Blick mit großen Augen: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Muß ich da mit?"

Horst Evers, sind Sie ein echter Weddinger?
Eigentlich nicht. Ich habe immer noch den Blick von außen. Und daß man kein richiger Weddinger ist, erfährt man immer mal wieder. Letztens kam zum Beispiel nach einer Lesung im Gesundbrunnen-Center eine alte Frau von siebzig oder achtzig Jahren auf mich zu, die mir erzählte, daß sie im Wedding geboren sei und nie von dort weggezogen ist. Da merkt man schon, daß man auch nach neun Jahren noch ein Zugereister ist.

Viele Ihrer Texte können als eine Art Sympathieerklärung für diesen Bezirk gelesen werden. Wie wird man zum Weddinger Lokalpatrioten?
Einfach nur, indem man da lebt. Das geht relativ einfach. Man muß neun Jahre da leben, nimmt sich eine schöne dunkle Parterrewohnung, so daß man gleich morgens beim Fensteraufmachen sieht, da ist gleich Wedding. Mit der Zeit, so nach vier, fünf Jahren, fängt man an, das lieb zu gewinnen.

Ist es demnach Liebe, daß sich Ihre Nachbarn anfangs weigerten, Ihnen Wege und Fahrverbindungen zu erklären?
Nein, keine Liebe. Das ist ein gewisser Sinn für Humor, den man dann auch mit der Zeit schätzen lernt - ab dem Moment, da man selbst die Wege genau kennt.

Warum sind Sie dann nach Kreuzberg umgezogen?
Die neue Wohnung war einfach mal besser.

Das klingt aber allzu profan.
Es gibt so eine Tradition, daß man den Wedding, das weddingsche Savoir-vivre, in die Welt zu tragen hat. Das ist so ähnlich wie die Wanderschaft der Handwerksburschen früher. Man wohnt mal hier, mal da, um dann schließlich wieder in die Heimat zurückzukehren.

Hat sich die Gegend um die Wrangelstraße schon sehr stark verändert?
Nicht so direkt. Aber ich arbeite daran.

Wodurch zeichnet sich dieses Savoir-vivre aus?
Das ist eigentlich im Prinzip, seinen Stiefel runter zu leben, ziemlich überzeugt davon zu sein, daß es auch richtig ist, so wie man den lebt. Dazu gehört auch, sich möglichst wenig um die Umwelt zu kümmern, es sei denn, man hat Langeweile. Dann allerdings belehrt man die Umwelt ziemlich intensiv und versucht sie an den eigenen Lebensstil zu gewöhnen.

Das bedarf einer Erläuterung.
Zur Illustration ist vielleicht das Beispiel mit den Bauarbeitern gut geeignet, die diesen Kompressor immer bei mir vor das Fenster gestellt haben, bis sie mich dann irgendwann belehrt haben, daß ich den deshalb vor das Fenster gestellt kriege, weil ich derjenige bin, der am wenigsten laut rausblökt, wenn das so einen Krach macht, und daß ich mich einfach dann auch mal langsam anpassen muß. Wenn der Kompressor dasteht, muß ich so richtig laut aus dem Fenster rausblöken, um den Kompressor zu denen bringen, die dann weniger laut sind als ich.

Es gibt kein richtiges Leben im falschen?
Man muß schon ein bißchen eingehen auf das, was so passiert.

Auffallend viele der neueren Geschichten handeln von unfreiwilligen oder unwillkürlichen Nachtbusfahrten bis hin nach Tegel. Sehnsucht nach alten Zeiten?
Das hat viel mit Gewohnneit zu tun. Schließlich bin ich jahrelang mit dem 26er Nachtbus nach Hause gefahren. Vielleicht ist aber tatsächlich etwas Heimweh dabei.

Sie treten anläßlich von Welt- oder Europameisterschaften regelmäßig im Ratibor-Theater auf. Zu diesen Zeiten scheinen Sie völlig in die Fußballwelt abzutauchen.
Früher habe ich davon geträumt, der Beauftrage des DFB für den Raum Osnabrück zu sein. Damals kannte ich alle Ergebnisse aller Spiele, und noch heute kann ich die Aufstellungen aller Mannschaften und die Ergebnisse aus dem Europapokal auswendig. Aber das Interesse daran hat doch etwas nachgelassen. Und heute kann ich damit leben, daß ich mittwochs hier im Schlot auftrete und dadurch die Spiele in der Champions League oder im Pokal versäume. Aber ich kann noch immer stundenlang über die Krise bei Werder (Bremen, die Reds) oder die Situation bei TeBe (Tennis Borussia Berlin) diskutieren.

Warum nicht auf der Bühne? Und wäre dann nicht Hertha ein lohnendes Thema?
Ich habe das mal ausprobiert, aber festgestellt, daß die Texte, die um den Fußball kreisen, auf der Bühne nicht so gut funktonieren.

Besucher der Kalkscheune waren vorvorletzte Woche durchaus überrascht: Horst Evers im Stil Michelle Pfeiffers hingeräkelt auf einem Piano, Liebeslieder interpretierend. Zeichen für einen radikalen Kurswechsel?
Nein. Benedikt (Eichorn) und ich denken schon darüber nach, ob wir im Herbst nicht wieder ein Programm zusammen machen. Aber ich komme meistens mit einem Text von mindestens achtzehn, neunzehn Strophen und denke mir, daß da dann mindestens auch vier, fünf musikalische Wechsel rein müßten. Das ist für einen Musiker nicht ganz einfach. Das Mittwochsfazit wird auf alle Fälle weiterlaufen.

Es bleibt also alles beim Alten?
Nein, ich möchte einen längeren Text veröffentlichen. Roman will ich das nicht nennen, aber es soll eine Art von Erzählung werden. Ein Krimi, der natürlich in Berlin spielt. Und der hätte dann auch eine Auflösung und eine richtige, durchgehende Handlung.

Gespräch: Hinnerk Dreppenstedt

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