Ausgabe 21 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Ehrennadeln für gute Taten

Wie weit sind die Verhandlungen zur Bezirksreform gediehen?

Der Beschluß zur Bezirksreform wurde im Frühjahr als Zitterpartie über die Bühne gebracht. Aus 23 mach 12 und spare 200 Millionen: So lautete das Ergebnis in harten Fakten. Die öffentliche Anteilnahme hatte sich vor allem auf die Frage gestürzt, wer mit wem zusammengeht. Der "Regierungsbezirk" als Dreierbund aus Mitte-Tiergarten-Wedding war der Überraschungscoup. Dann ebbte das öffentliche Interesse merklich ab. Möglichst geräuschlos sollten jetzt auf Bezirksebene die Mitglieder der "Zentralen Arbeitsgruppe Verwaltung" (ZAG) die Vorgaben umsetzen.

Die entscheidenden Auseinandersetzungen finden zur Zeit auf der Hinterbühne statt. Schon die Unterschiedlichkeit der Bezirke ist problematisch: Während Mitte nur 4 Prozent Sozialhilfeempfänger meldet, sind es im Wedding 8 Prozent und Tiergarten sogar 10. Die Arbeitslosigkeit liegt in Mitte bei 15 Prozent, im Wedding und Tiergarten bei über 20 Prozent. Schon das allein bedingte bisher unterschiedliche Personalausstattungen der Bezirksämter.

Um Transparenz in den Stand der Dinge zu bringen, hatten die Volkshochschulen von Mitte, Tiergarten und Wedding Ende Oktober eine Gesprächsrunde mit den entsprechenden Bezirksbürgermeistern veranstaltet. Neben den Normalbürgern wurden vor allem die Mitarbeiter aus den Bezirksämtern in das Rathaus Mitte eingeladen. Lustigerweise war in wahrscheinlich vorauseilender Erfüllung der Fusion nur ein einziger Bürgermeister erschienen, Jörn Jensen aus Tiergarten. Mitte mußte den Stellvertretenden Jens-Peter Heuer schicken, Weddings Nisblé war mit Senatorenpostenschachern beschäftigt und deswegen verhindert, aber durch Manfred Nowak, Mitglied der ZAG vertreten. In den Hinterbänken der Zuhörer raunte es schon: "Nisblé kommt nicht, weil er weiß, daß er sowieso der zukünftige neue Bürgermeister wird."

Sinn durch Einsparung

Die Bezirksreform erhält ihren Sinn durch die Einsparung von bezirklichen Einrichtungen und Personal, wobei gleichzeitig die Qualität der Leistungen für die Bürger beibehalten werden soll. "Das ist ein hochgestecktes Ziel", betonte Jörn Jensen, der die alles entscheidende Frage stellte, "ob es eine reine Einsparnummer wird oder sich noch andere Möglichkeiten ergeben." Heuer entwickelte die Vision von sogar mehr als den bisherigen drei Anlaufstellen für häufig genutzte Leistungen wie Wohnungsämter, Sozialämter und Bürgerämter. Dagegen soll für speziellere Leistungen eine einzige zentrale Einrichtung ausreichen. Seine anschließende Bemerkung, daß die Finanzen das nicht zulassen, rückte dann alles wieder ins gewohnte Lot. Einsparungen sind erfahrungsgemäß nur positiv in der Haushaltskasse zu verbuchen. Auch Jensen befürchtet eher eine "Verschlechterung der unmittelbaren Betreuungsdichte und längere Wege für die Bürger". Widersprüchlicher könnte das Prinzip Bürgernähe nicht umgesetzt werden.

Eventuelle Anreize, der Gebietsreform auch positive Aspekte abzugewinnen, hat der Senat tunlichst vermieden. Trotzdem beispielsweise durch die Zusammenlegung von Mitte, Tiergarten und Wedding eine mittlere Großstadt mit über 330000 Einwohner entsteht, wird dem neuen Bezirk keine größere Entscheidungskompetenz zugesprochen. Nach Einschätzung von Jensen bleiben die zukünftigen Bezirke nach wie vor als ausführende Verwaltungsstellen der "verlängerte Füllfederhalter" der Landesregierung.

Spezifik auf niedrigstem Niveau - Wedding bleibt Wedding

Heuers größte Sorge war, daß die Spezifik der Bezirke eingeebnet wird, "und zwar auf niedrigstem Niveau". Als Beispiel führte er die derzeitig äußerst unterschiedliche Finanzausstattung der Kulturbereiche in den Bezirken an. Eine fiktive Rechnung in der Zukunft könnte lauten: Wenn 100 Mark für Kultur im Wedding reichen , dann könnte Mitte auch damit auskommen. Die vergleichsweise gut ausgestattet Kulturszene in Mitte wäre damit nicht mehr zu halten. Welche Spezifik Wedding zu verteidigen hätte, wurde nicht erörtert. Statt dessen hieß es süffisant, Nisblé beruhige seine Schäfchen mit einem schlichten "Wedding bleibt Wedding".

Neben den Kulturämtern werden auch die Musikschulen, Stadtbibliotheken und Volkshochschulen verwaltungstechnisch zusammengelegt. Bei dem Zeitplan für die Zusammenführung zeichneten sich jedoch leichte Differenzen zwischen den drei Bezirken ab. Während Tiergarten und Wedding die Fusion dieser Einrichtungen möglichst schon vorfristig im Herbst 1999 durchführen wollen, sieht Mitte keine Veranlassung zur Eile.

Das größte Einsparpotential bildet aber die Reduzierung des Personalbestandes. Dabei werden pro Bezirk Einsparungen von etwa 15 Millionen Mark erwartet. Da aber die Regelung, daß von den Bezirksämtern keine betriebsbedingten Kündigungen ausgesprochen werden, bis Ende 1999 verlängert wurde, schiebt man jetzt schon in den drei Bezirken zusammen einen Überhang von 300 Stellen vor sich her. Zur Zeit gibt es in Mitte, Tiergarten und Wedding insgesamt 5691 finanzierte Personalstellen. Die Motivation der Mitarbeiter in den Bezirken, an der Umsetzung der Reform mitzuwirken, ist naturgemäß gering, geht es doch letztlich darum, den eigenen Arbeitsplatz abzuwickeln.

Ehrennadeln auf Halde

Alles in allem leidet das Verfahren unter dem enormen Zeitdruck, der auf dem Fusionsprozeß lastet. Schon jetzt muß in den Bezirken die Investitionsplanung für 2002 beraten werden, wobei die neue Situation des künftigen Großbezirks mitbedacht werden muß. Die Entscheidungen über den Standort des Rathauses, den Namen und das Wappen des neuen Bezirks werden erst ganz zum Schluß gefällt.

Am Rande hat Jörn Jensen noch ein anderes Problem: Er hat noch 200 Ehrennadeln des Bezirks Tiergarten mit dem aufgedruckten alten Wappen auf Halde liegen, die bis Ende 2000 noch unter die Leute gebracht werden wollen.

Finanzsenatorin Fugmann-Heesing weilt zur Zeit in New York, um weitere Sparmöglichkeiten zu erkunden. Man muß wohl hoffen, daß ihr nicht auffällt, daß New York nur fünf Bezirke hat. Ansonsten steht vielleicht schon die nächste Bezirksgebietsreform vor der Tür.

Jens Sethmann/Sabine Schuster

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 21 - 1998