Ausgabe 21 - 1998berliner stadtzeitung
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"Schaffen Sie sich eigenes Eigentum an!"

Sanierungspläne gefährden eines der größten linken Hausprojekte in Berlin

Im Konflikt um die Sanierung des ehemals besetzten Hauskomplexes Brunnenstraße 6/7 in Mitte eskaliert die Situation weiter. Eine einvernehmliche Lösung ist nicht in Sicht. Statt dessen wurde mit großem Polizeiaufgebot ein schon entmieteter Gebäudeteil zugemauert.

Der kleine Supermarkt in der Brunnenstraße 6/7 hat immer noch den Charme eines kleinen Tante-Emma-Ladens und ist mit der Nachbarschaft verbunden. Der Inhaber und das Verkaufpersonal haben noch Zeit für ein Schwätzchen mit ihren Kunden. Viele von ihnen scheinen sie zu kennen.

Auch viele der unmittelbaren Nachbarn im Haus - die BewohnerInnen der vor Jahren besetzten, aber durch Mietverträge schon lange legalisierten Wohngebäude - zählen zu den Stammkunden. Die meisten der Ex-Besetzer findet der Ladeninhaber "ziemlich in Ordnung". Ihn beeindruckt, daß die jungen Leute soviel im Haus selbst instandgesetzt haben. "Zu den Hoffesten wurde ich auch mal eingeladen, das war dann eine richtig nette Kiezatmosphäre hier."

Nett war es nicht immer in der Brunnenstraße 6/7. Interne Konflikte und Probleme mit der Obrigkeit stellten das Zusammenleben im Haus zuweilen auf eine harte Zerreißprobe.

"Gefährdung der öffentlichen Sicherheit"

Die Ereignisse vom 14. Oktober waren für den Supermarktbesitzer ein Schock: Zwei Hundertschaften Polizei hielten den Hauskomplex und den davorliegenden Gehweg einen Tag lang in Belagerungszustand. Mit der Begründung, es winterfest zu machen, ließ der Hausbesitzer an diesem Tag das "Humboldt-Haus", ein zum Gebäudeensemble gehörendes ehemaliges Fabrikgebäude, zumauern. Die Nutzungsverträge für die Fabriketagen waren abgelaufen und wurden nicht verlängert. Einige Obdachlose, die im Gebäude wohnten, wurden geräumt. Für die Hausbewohner eine Farce, denn das bei einem Brand beschädigte Dach wurde nicht repariert, so daß sie vermuten, es ginge nur darum, den Hausbewohnern den Zugang zu diesem Gebäudeteil zu verwehren.

Für den Ladeninhaber war dies ein "schwarzer Tag", es haben sich kaum noch Kunden dorthin getraut. Ein Polizeisprecher erklärte dazu, der Polizeieinsatz sei notwendig gewesen, weil es im Vorfeld Drohungen gegen den Hausbesitzer gegeben hätte und man außerdem eine unberechtigte Nutzung der Gebäude unterbinden wollte. Überdies würden "in den umliegenden Gebäudeteilen sogenannte alternative Lebensgemeinschaften wohnen, wir mußten deshalb mit Störungen rechnen".

"Gerade dieser völlig überzogene Polizeieinsatz hat doch die Sicherheit der Passanten hier gefährdet", meint dagegen der Inhaber eines Schuhgeschäftes in der Brunnenstraße, denn "die Passanten wurden vom Gehweg vertrieben und mußten an den Polizeifahrzeugen vorbei auf der Straße laufen. Daß dabei niemand von den Autos angefahren wurde, war reine Glückssache."

Verhandlungen gescheitert

Die Ereignisse vom 14. Oktober waren der vorläufige Höhepunkt der Auseinandersetzungen zwischen den BewohnerInnen der Brunnenstraße 6/7 und dem Hauseigentümer Klaus Gawehn, der den Hauskomplex im Herbst letzten Jahres kaufte. Auf einem Treffen mit den HausbewohnerInnen kündigte er umfangreiche Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen an. "Die Hausbewohner sollen nicht verdrängt werden", betonte er damals.

Dennoch hätten auch allein diese Maßnahmen zu Netto-Kaltmieten von etwa 9 DM/m2 geführt, was für viele der bisherigen HausbewohnerInnen nicht bezahlbar wäre. Im Sommer diesesJahres wurde dann Herr Gawehn zu neuen Gesprächen geladen, in denen die Hausbewohner einfordern wollten, ein Belegungsrecht für freiwerdende Wohnungen zu erhalten und die schon eingerichteten Gemeinschaftsküchen und -bäder in die Bauplanung zu übernehmen. Herr Gawehn blieb allerdings fern. In einem Schreiben meinte er nur, daß sich die Mieter für die Umsetzung ihrer Wünsche doch eigenes Eigentum anschaffen sollten. Er drohte mit Kündigungen und weigerte sich, eine vereinbarte 75-prozentige Mietminderung anzuerkennen. Nutzungsverträge für Gewerberäume wurden gekündigt. In einem Gebäudeteil erklärte er bewohnte Wohnungen für unbewohnt bzw. illegal genutzt und ließ die Schlösser austauschen. Diese Eskalation gipfelte dann in der Polizeiaktion. "Ein derartiger Polizeieinsatz ist von uns nicht angefordert worden", betont Herr Gawehn danach in einem Schreiben an die Mieter. Die aufwendigen Sicherungsmaßnahmen seien ihm von behördlicher Seite angeraten worden.

Gawehn wirft seinerseits den Hausbewohnern unkooperatives Verhalten vor. Man hätte bei den ursprünglichen Planungen weitgehend auf Mieterinteressen Rücksicht nehmen können, sogar eine Möglichkeit, ein oder zwei Aufgänge in Selbsthilfe zu sanieren, sei den Bewohnern angeboten worden. Statt dessen wären die Hausbewohner nicht einmal bereit, die vollen Betriebskosten zu zahlen und blockierten notwendige Instandsetzungsarbeiten, um weiter auf ihrer Mietminderung beharren zu können.

Die Modernisierungsankündigungen erkennt kein Gericht an

Laut Herrn Hirsch von der Senatsbauverwaltung hatte Herr Gawehn mit der Brunnenstraße "die Katze im Sack gekauft". Er hielt das Haus für besetzt, beantragte mehrmals die Räumung und mußte erst darüber aufgeklärt werden, daß Mietverträge existieren. Jetzt soll das Haus mit öffentlichen Fördermitteln umfangreich instandgesetzt und modernisiert werden. "Allein eine Beanspruchung dieser Mittel gewährleistet, daß eine Luxusmodernisierung nicht durchgeführt wird" erklärt Gawehn. "Die Fördergelder werden nach aller Voraussicht in den nächsten Wochen bewilligt", bestätigt Herr Hirsch von der Senatsbauverwaltung. Danach sei mit einer Netto-Kaltmiete von ungefähr 11 DM/m2 zu rechnen, so Hirsch. Ob die Vorraussetzungen dazu wirklich erfüllt sind, ist allerdings fraglich: Zur Inanspruchnahme von Fördermitteln ist ein Einverständnis zwischen Eigentümern und Mietern notwendig. Das ist hier nicht vorhanden.

"Die Modernisierungsankündigungen, die Gawehn verschickt hat, entsprechen in keinster Weise dem Mietrecht. Damit kommt er vor keinem Gericht durch", erklärt der Anwalt der Bewohner aus der Brunnenstraße 6/7. Im Gegenzug droht Gawehn, daß sich die bisherige Kostenkalkulation nur halten ließe, wenn die Durchführung der Arbeiten nicht behindert würde, andernfalls könne die Mietbelastung bis zu 30 Prozent zusätzlich steigen.

Die BewohnerInnen forderten Gawehn noch einmal schriftlich auf, neu zu verhandeln. Auch der Inhaber des Supermarktes hofft auf eine Einigung: "Es wäre schade, wenn das hier alles kaputtgehen würde." Von Herrn Gawehn kam bis zum Redaktionschluß keine Reaktion auf das Verhandlungsangebot der Brunnenstraße 6/7.

Michael Philips

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