Ausgabe 18 - 1998berliner stadtzeitung
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Braune Bierschwemme in Lichtenberg

Wie vorgehen gegen das "Café Germania"?

"Gern gesehene Gäste sind Nationale und Patrioten unterschiedlicher Couleur im neueröffneten Café Germania im Berliner Bezirk Lichtenberg. Das kleine deutsche Lokal mit der freundlichen Atmosphäre hat von Montag bis Sonnabend jeweils ab 9.00 Uhr geöffnet. Dort wird den Gästen nicht nur das Getränk der Götter und Germanen in zünftigen Methörnern serviert, auch sonst ist man um das leibliche Wohl der Kundschaft besorgt."

Mit dieser Anzeige in der neonazistischen "Berlin Brandenburger Zeitung" (BBZ) stellte sich das Lichtenberger Café Germania vor. Germania - der Name ist Programm. Seit der Eröffnung im Dezember 1997 wurde die Kneipe in der Normannenstraße ein Treffpunkt der Berliner Naziszene. Betrieben wird das Café von Andreas Vogt, dem ehemaligen Chef der Skinheadgruppe "Kreuzritter für Deutschland" (KFD) aus Stuttgart. Die KFD organisierte zwischen 1991 und 1993 im süddeutschen Raum Konzerte mit internationalen Nazibands. Weil er einen abtrünnigen Gesinnungsgenossen entführte und mißhandelte, mußte Vogt Mitte der neunziger Jahre eine längere Gefängnisstrafe absitzen.

Nach Angaben von Berliner Antifa-Initiativen kommt auch dem Café eine wichtige Rolle in der rechten Infrastruktur zu. Während sich ältere Kameraden mit nationalen Liedermachern wie Frank Rennicke die Zeit vertreiben, schmiedet der glatzköpfige Nachwuchs Angriffspläne. Pöbeleien gegen MigrantInnen und tatsächliche oder vermeintliche Linke sind in der Umgebung an der Tagesordnung. Am 21.Juni 1998 wurde das braune Café für einen Abend polizeilich geschlossen, weil von den Gästen eine massive Bedrohung für ein Multikulti-Konzert ausging, daß an diesem Tag im Rahmen der Féte de la Musique in den Lichtenberger Parkauen stattfand.

Lange Zeit haben sich scheinbar nur junge AntifaschistInnen an dem Café gestört. Doch nachdem auch viele AnwohnerInnen schon die Straßenseite wechseln, droht Vogt und seinen Kameraden auch aus dem Rathaus Widerstand. Dort fand am 14.September eine Informationsveranstaltung über das Café statt.

Lichtenbergs Bürgermeister Wolfram Friedersdorff eröffnete den Abend mit deutlichen Worten: "Die Gewöhnung an menschenverachtende Ansätze finde ich unverantwortlich." Fred Löwenberg, ehemalige Widerstandskämpfer gegen das Naziregime, verglich das Café mit den Sturmlokalen der SA in der Weimarer Republik. Waren sich die im Ratssaal versammelten AntifaschistInnen auch in der Forderung "Weg mit Café Germania" einig, so stritten sie über die richtige Strategie und Taktik. Löwenbergs Einschwören der antifaschistischen Bewegung auf eine zahme Schutztruppe für das Grundgesetz fand jedenfalls nicht die Zustimmung vor allem des jüngeren Publikums.

Manche der RednerInnen nutzten auch den Abend, um eine Klage über die Sorge und Nöte des Bezirks Lichtenberg und deren Jugendlichen anzustimmen. Lediglich Uwe Müller von der antifaschistischen Initiative des Bezirks hielt sich mit seinem detaillierten Vortrag über die Neonazistrukturen streng an das Thema des Abends. Als dann fünf Herren in mittleren. Alter, die sich mit nationalen Parolen Gehör zu verschaffen versuchten, von jüngeren AntifaschistInnen gewaltfrei aber bestimmt aus dem Saal komplimentiert wurden und sich dafür von Teilen des Publikums als undemokratisch beschimpfen lassen mußten, drohte die Veranstaltung zu platzen. Schließlich brachte man sie mit der Versicherung zu Ende, den Dialog auf jeden Fall fortzusetzen.

Das wird auch nötig sein. Denn die Germania-Betreiber haben noch große Pläne. Im Sommer 1998 haben sie in der neofaschistischen Presse das Projekt Café Germania mit dem Ziel einer berlin- und später deutschlandweiten Infrastruktur von nationalen Gastronomie- und Freizeiteinrichtungen ausgerufen.

Peter Nowak

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