Ausgabe 17 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Vorzeitig kommen

Manchmal habe ich so richtig Frust. Wenn ich alles so sehe - dann kann ich nicht mehr. Da kribbelt es in mir und ich werde nervös, da ist an nichts Vernünftiges mehr zu denken. Von überallher grinsen sie mich an, diese Bilder - bunt, grell, unausweichlich. Süßes Lächeln auf den Gesichtern, die Haare frisch gewaschen, die Augen vertrauensselig blau. DirektkandidatInnen.

Ein guter Freund erzählte mir von einer Möglichkeit, wie man alles schon vorher über die Bühne bringen kann. Kurz, schmerzlos und intensiv, ohne dummes Herumgerede. Da entschloß ich mich, es auch zu tun.

Ich habe sie mir alle angeschaut - in einem langen Katalog. Schade, daß es nur mit zweien geht. Am meisten Spaß, finde ich, macht es mit den Kleinen ganz unten auf der Liste. Warum ich es schon vorher tun will? Schnell muß es gehen - das ist bei mir immer so. Ich weiß gar nicht, was die andern alle haben - während die sich noch abrackern, rauche ich schon eine Zigarette. Mir doch egal, was meine Erwählten von mir denken. Ich hab meinen Spaß gehabt und schau jetzt ganz ruhig zu, wie sich andere immer noch die Köpfe verrenken und die Münder heißreden. Und den ganzen schönen Gesichtern auf den Plakaten stehe ich jetzt auch viel lässiger gegenüber.

Ich war beim Bezirksamt. Dort gibt es einen Raum, in dem man es vorher tun kann. "Briefwahl an Ort und Stelle" wird das dort genannt. Seine Papiere muß man zeigen und eine Bescheinigung mitbringen. Dann kann man ihn etwas anstreichen und in einen roten Umschlag stecken. Danach noch in einen blauen, doppelt hält besser. Und dann rein in den Kasten, schnell fertig - und raus.

cd

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  Ausgabe 17 - 1998