Ausgabe 17 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Berlin wird immer sein

"Lichter aus dem Hintergrund" - ein Dokumentarfilm

Eine S-Bahn donnert am Potsdamer Platz ein. Der Fotograf Robert Paris wählt bedächtig den Standort. Später entwickelt er Aufnahmen, die Jahre zurückliegen. Heute fotografiert er dort nicht mehr. Regisseurin Helga Reidemeister reizte eben diese Verweigerung: "Mein eigenes Interesse an Architektur und Architekturfotografie hat mich auf Robert aufmerksam gemacht. Seine Fotos sind nicht nur Bestandsaufnahme, sondern auch poetisch-meditative Kunstwerke, die das Klima verschiedener Zeitepochen spürbar machen und so etwas wie «heimatlose Heimat´ ausdrücken...".

Film als Zeitdokument

Robert, flankiert von seinen prominenten Eltern, Helga und Ronald Paris, sollte Mittelpunkt des Films sein. Etwas anders kam es dann glücklicherweise doch. Aus dem Familienporträt in Berlin wurde ein Generationenporträt der heute Mitte-Ende Dreißigjährigen, aufgewachsen und erzogen in der DDR. Darüber hinaus ist der Film auch ein Porträt dieser Stadt. Robert Paris faszinierten seit den beginnenden achtziger Jahren Orte im Kontext ihrer Zeit. Die auf den ersten Blick dauernden, den Zeiten trotzenden Bauwerke waren viel subtiler in ihrer Substanz. Das alte Gaswerk in der Dimitroffstraße beispielsweise, Roberts erste eigene Fotoarbeit, steht lange nicht mehr. Der Potsdamer Platz ist nicht mehr der Potsdamer Platz, sondern ein anderer. Die Bilder beklagen jedoch nicht Vergänglichkeit, sie konstatieren. Der Blick zurück als notwendige Voraussetzung fürs Nach-Vorn-Schauen.

Orientierungssuche

Außer Robert Paris kommen im Film auch seine Freunde zu Wort. Wie er gehörten sie zur Ostberliner Szene am Prenzlauer Berg, die es schon lange nicht mehr gibt. Jeder versucht sich in dieser Zeit zurechtzufinden, Roberts Schwester Jenny, die Schmuckgestalterin, ebenso wie Petra, die sich den Verwertungsmechanismen der Marktwirtschaft widersetzt, indem sie den eigenen Klamottenladen - ihre Insel der Kreativität - mit viel Mühe und Kraftaufwand versucht, am Leben zu erhalten. Sie alle haben sich trotz der Einbußen an Unbeschwertheit eine verwundbare Offenheit und Ehrlichkeit bewahrt, die man beim marktwirtschaftlich geschulten "anderen" Deutschen selten so findet. Die Kamera begleitet Robert Paris bei einer seiner Indien-Reisen. Erstmalig interessieren ihn in Indien Menschen, Gesichter. Erst vorsichtig, scheint es, nähert er sich dem ungewohnten Objekt, das zugleich auch Subjekt ist. Etwas Verlorengeglaubtes spiegelt sich in den Gesichtern wider: Seele. Auch hier wird Vergänglichkeit sichtbar, aber durch Nähe.

Die Nähe des Films

Diese Nähe zu Robert und seinen Freunden, eine suchende, neugierige Nähe wollte auch Helga Reidemeister. Sie entschied sich für eine Mischung aus Schwarz-Weiß und Farbmaterial. Die Wirkung des Schwarz-Weiß von Roberts Fotos kann sich konsequenterweise nur auf ebensolchem Filmmaterial übermitteln. Die wohltuende Stille der Fotos wird kontrastiert vom lauten Heute, von sich in die Erde fressenden Baggern am Potsdamer Platz. Denn starren, distanzierten Fotos und ihren Motiven im Stadtbild wird eine bewegliche, fast entfesselte Kamera entgegengestellt. Sie umkreist die Personen, sucht ebenso wie diese. Wonach? Nach Nähe, Orientierung. Im ständigen Wechsel von Ruhe und Bewegung durchlebt der Zuschauer ein Auf und Ab, er kommt so wenig zur Ruhe wie die Protagonisten. Die Regisseurin und ihr Kameramann Lars Barthel haben damit den veränderten Richtwerten dieser Gesellschaft visuelle Gestalt verliehen.

bwh

"Lichter aus dem Hintergrund" (Dt. 1998, Regie: Helga Reidemeister, 96 Min.). Premiere und Ausstellungseröffnung im Filmtheater Hackesche Höfe, 10. September, 19.30 Uhr. Der Film läuft außerdem in den Kinos Acud und Moviemento.

"Man kann nicht so schnell, wie die Zeit ist."

Robert Paris im Gespräch mit scheinschlag

Seit den Dreharbeiten sind über 2 Jahre vergangen - eine lange Zeit innerhalb unserer Schnellebigkeit. Was wir heute in wenigen Jahren absolvieren, dauerte vormals Jahrzehnte. Alte Werte wurden und werden flugs durch neue ersetzt. Wer sich dagegen auflehnt, hat es schwer - besonders in Deutschland. Robert Paris war inzwischen viermal in Indien, das letzte Mal sieben Monate.

Warum Indien? Das Tempo dort ist ganz anders. Lebenszeit hat eine andere Dimension. Wenn man sich unterhält, versucht der eine Gesprächspartner immer erst mal, sich in die Rolle des anderen zu versetzen, um ihn besser zu verstehen. Hier dagegen versucht man sich abzugrenzen, der eigene Standpunkt ist der wichtigste. Diese Abgrenzung gibt es dort nicht. Man ist neugierig auf den, auf das andere. Fährst du mit dem Zug, kennst du innerhalb einer halben Stunde den ganzen Waggon mit 70 Leuten. Sie wollen wissen, woher du kommst, was die Eltern machen, ob du verheiratet bist, Kinder hast...

Was hält einen dann wieder hier in Berlin? Man muß leider Geld verdienen und das ist dort schwierig. Man kann als Europäer dort leben, muß aber integriert sein. Das heißt, verheiratet sein, Familie haben, einen Hintergrund haben.

Kann das Reisen nach Indien die Defizite hier etwas kompensieren? Sie werden einem zunächst mal bewußt, die Defizite. Es gibt ja viele Dinge, die man hier als völlig normal akzeptiert, die es aber eigentlich nicht sind. Dieses Über-den-Tellerrand-Schauen macht einem bewußt, wie gut es den Leuten hier doch geht. Materieller Reichtum, der mit geistiger oder seelischer Armut einhergeht. Nichtigkeiten spielen hier eine große Rolle.

Der Maßstab ist eben immer das, was einen umgibt. Ja, aber niemand muß hier Hunger leiden. Der Mangel hier ist immer noch lächerlich gegenüber dem, was in sieben Zehnteln der Welt passiert.

Kann man sich nach sieben Monaten dort hier wieder zu Hause fühlen? Hier ist meine Heimat. Ich bin in Berlin geboren, aufgewachsen, ich kenne hier jeden Stein - bis vor kurzem zumindest. Inzwischen ist das nicht mehr so. Die Stadt verändert sich rasant, meist zu ihrem Nachteil. Ausnahmen sind z.B. Bofingers SPD-Haus in der Stresemannstraße oder Friedrichstraße, Block 206, neben Lafayette. Es gibt schon schöne neue Architektur, aber das meiste ist Katalogware, Abschreibungsobjekte. Es wird schnell gebaut und muß halten, bis es abgeschrieben ist ... Lafayette, die Scheibe, ist das beste Beispiel.

Die vielleicht schönen kleinen Ausnahmen gehen unter in der Monströsität, es gibt kein homogenes Ganzes. Es ist nicht gewachsen, sondern nur geklotzt. Das wurde in Berlin allerdings schon immer so gemacht. Das war zur Kaiserzeit so, zur Nazizeit, das war zu DDR-Zeiten so und jetzt wieder. Beispiel Alex: Zur Gründerzeit wurde alles abgerissen von der barocken Stadtbebauung, dann kam die Nazizeit mit ihren riesigen Germania-plänen, die zum Glück nicht alle realisiert wurden. In der DDR war glücklicherweise nicht genug Geld da, deshalb nur ein paar Neubauten, die Stalinallee. Und wieder wird das in Jahrzehnten Gewachsene innerhalb kürzester Zeit völlig umgebaut. Man weiß nicht, ob man hier noch zu Hause ist. Worauf kann ich mich noch verlassen? Früher wußte ich genau, wo man welchen Laden für welchen Zweck finden kann, das waren feste Bezugspunkte. Natürlich gab´s im Verlauf von Jahrzehnten Veränderungen, aber daß Jahrzehnte jetzt auf fünf Jahre zusammengeschrumpft sind, läßt einen nicht mehr mithalten.

Wir haben die Gnade, aber auch das Pech, in dieser Zeit zu leben. Die nachfolgenden Generationen können schon vieles als fertig und gegeben hinnehmen. Irgend jemand, ein berühmter Kopf, hat mal gesagt, daß Berlin immer nur wurde, aber niemals war. Berlin wird Hauptstadt, wird groß und wenn es irgendwann geworden ist, kommt schon wieder eine neue Zeit und es wird wieder.

Die Stadt kann sich nicht entfalten. Und bei diesen Gebäuden, die man heute in Kürze in Massen hochzieht, weiß und sauber, da darf, da kann sich kein Leben entfalten. Sobald es benutzt wird, sieht es furchtbar aus. Das ist nicht zum Gebrauch gedacht, sondern zum Anschauen.

Fassade, ja und schöner Schein. Es wäre manchmal ganz interessant, in die Zukunft zu schauen. Kann man ja förmlich! Leerstand, Verwahrlosung sind durchaus abzusehen. Teilweise schon jetzt zu sehen. Potsdamer Platz habe ich mir kürzlich angeschaut, die Daimler-Benz-Kathedrale... Ist gewaltig. In dem Innenraum wunderschöne gebrannte Steine. Aber die meisten Leute, die da lang liefen, hörte man sagen: Ooch, ist das alles hoch! Hier zieht´s aber so, komm, laß uns wieder nach Hause gehen und irgendwo bei uns um die Ecke Kaffee trinken. Man geht da hin, ist beeindruckt und erniedrigt gleichermaßen von dieser Gigantomanie.

Gibt es noch Dinge in Berlin, von der Veränderung bedrohte, die dich reizen würden zu fotografieren? Nein, jetzt ist Schluß. Das interessiert mich nicht mehr. Es reicht mir auch nicht. Ich möchte mehr - mehr und anderes sehen und kennenlernen. Und reich an geistigen Dingen sein, mehr wissen, mehr lernen. Ich möchte weiter blicken. Dabei stehe ich noch ganz am Anfang, das zu verstehen, was mich umgibt, wenn ich woanders bin. Es braucht Zeit, dieses Verstehen.

Die nächste Indien-Reise hat Robert Paris für Oktober vorgesehen, Zeitdauer unbestimmt.

Text und Gespräch: Berit Wich-Heiter

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