Ausgabe 15/16 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Musik für die Massen

Diverse: Sushi 4004 (Bungalow/EFA)

Kleine japanische Mädchen auf Acid, die ständig mit ihren Unterhöschen dem DJ vor der Nase herumwedeln. Was als Japanbild der Männerphantasie eines Spiegel-Redakteurs entsprungen zu sein scheint, ist als Quintessenz für die "Sushi"-Sampler-Reihe gerade recht. Nach "Sushi 3003" letztes Jahr gibt«s jetzt "Sushi 4004", logisch. (Im Jahr 2002 heißt folglich der Sushi-Sampler dann wie?) Hier im Japan des Berliner Easy Schlager-Duos Hammond Inferno, die diesen "spectacular japanese clubpop" zusammengestellt haben, sieht die Welt noch richtig knorke wie ein rosaroter Luftballon in einer Kinderhand aus. Lewis Carroll war der erste Japaner, scheint uns dieser Sampler sagen zu wollen und jeder Hörer und jede Hörerin darf sich Alice nennen. Japaner können fliegen, Französisch, haben Synthesizer, die reden können und essen Coca-Cola-Puddings. Retro-Future beißt sich nicht, im Gegenteil, "Piep, Piep" ist die Zukunft.

Diverse: Minimalism (Law & Auder Records/NTT)

"Minimalism" bedeutet hier vordergründig die Reduzierung des Plattentitels auf das notwendigste: Irgendwie muß man das Ding ja nennen. Mit Tonpfürzchen hin- und herschieben dagegen, wie das die "Kölner Schule" des Techno-Minimalismus vorexerziert, hat dieser Sampler eher wenig gemein. Vielmehr skelettiert man hier Drum & Bass von seinen Partyeigenschaften und nimmt Techno den Zuck-und-Groove. State of the Art sozusagen. Wäre dieser Sampler ein CD-Player, käme er aus England, wäre gehobene Preisklasse und würde auf eine "Shuffle"-Taste verzichten. Geben tut«s Tracks von Nonplace Urban Field, T-Power, Luke Vibert, Muslimgauze und ähnlich quotierten Knöpfchendrehern. Kann man hören als ob man ein gutes Buch lesen würde.

Rancho Relaxo Allstars - Volume II - Live At The Luv Parade (Disko B/EFA)

Kann die Grammatik des Techno in Zeiten der Schönbohm-Love Parade noch verwirren? Wohl kaum. Wahrscheinlich gibt es sogar von Marusha White-Labels zu kaufen und selbst DJ Bobo hat sicherlich das eine oder andere Pseudonym im Künstlerpaß stehen. Rancho Relaxo wissen das und drehen deshalb die Techno-Codes durch den Fleischwolf. Sie sind viele oder wenige, Hillibillys aus Mexiko, Österreich oder Finnland - wahrscheinlich oder auch nicht. Wie Clint Eastwood in Sergio Leones Spaghetti-Western sind sie die großen Unbekannten ohne Namen, Herkunft und Identität. Elektronische Musik ist dabei

ihre Waffe und die ziehen sie auch bei ihrer zweiten Platte immer noch schneller als die meisten anderen. ah

Bei "Dance of the Headless Bourgeoisie" (Alternative Tentacles) von den

kanadischen Hardcore-Vorturnern NoMeansNo läuten zunächst alle Alarmglocken: Das Unwesen, Doppel-LPs mit episch langen Stücken herauszubringen, muß leider oft als Zeichen nachlassender Kreativität gelten. Daß die Wright-Brüder mittlerweile stark ergraut sind, paßt nur allzugut ins Bild. Während Gitarrist Tom Holliston als Hofnarr mit Woody-Allen-Brille erscheint, sieht Bassist und Sänger Rob Wright aus wie ein gutmütiger amerikanischer Daddy, den man in eine Fernsehpredigeruniform gesteckt hat, und Schlagzeuger John Wright wie dessen leicht vertrottelter Bruder. Soweit der äußere Eindruck. Beim Hören der Platte dann die angenehme Überraschung: zwar wenig Neues, aber kaum Verschnarchsackungstendenzen. Fast wie in besten Zeiten rumpeln NoMeansNo ihr sperriges Zeug runter. Im Titelstück verkörpert Rob Wright eindrucksvoll

einen Psychopathen, der der verhaßten bürgerlichen Kleinfamilie androht, ihnen einzeln den Kopf wegzusprengen. Wenn dann alle zusammen "I«m an asshole" skandieren, klingt das ziemlich glaubwürdig.

Es hat sich angedeutet, und doch ist es zunächst irritierend: Die Goldenen Zitronen machen jetzt sowas wie Elektronik. Auf "Dead School Hamburg

(Give me a Vollzeitarbeit)" (Cooking Vinyl) gibt es so gut wie keine herkömmliche Instrumentierung mehr. Stilistisch ist das eher in den Achtzigern anzusiedeln. Das ist jedoch keine Rückständigkeit, sondern Methode - ein Bekenntnis zur klassischen Moderne (oder so). Musikalisch ist das nicht immer ganz überzeugend, aber Schorsch Kameruns Stimme und vor allem die Texte reißen alles wieder raus: Es ist alles gut, Mutter!

js

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