Ausgabe 15/16 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Auf dem Weg zur Höflichkeit

Ein warmer Regentag in Berlin ist etwas, über das man das eine oder andere Wort verlieren kann. Ostberlin ist dann besonders ostig, Westberlin häßlich. Auf dem Weg zur Post. Wie immer wunderschön, wenn zwei Gegensätze zusammengebracht werden: Die Post versucht sich im Kioskgeschäft. Beamte sollen freundlich sein zu ihren Kunden, weil das nicht anders geht und es Cola auch beim Türken gibt, dazu noch Döner.

Ist also naßwarm draußen, und die Post ist gähnend leer, und der Briefmarkenverkäufer hat«s begriffen und ist richtig freundlich - er kann sich«s halt erlauben, er muß ja nicht - und danach will ich noch Zigaretten kaufen, und vor mir steht einer, außer mir der einzige in der Station, und kauft irgendwelche bunten Schwachsinnsrubellose und braucht ewig, bis er zahlt und riecht auch noch unangenehm, Mensch, Junge, in dem Alter, wo ist dein Selbstrespekt, und endlich isser weg, und die Alte hinterm Schalter kann jetzt, denkt sie, so richtig Macht auskosten und erstmal, nach welchem Verfahrensweg auch immer, ganz langsam mit verkniffenem Gesicht - hoffentlich drängelt er - diese Lose mit irgendwas typisch postamtlichem zusammenheften, oh, wie ich sie verachte, sie rechnet nicht mit meiner verregneten Stimmung, süße Melancholie pocht durch meine Adern und hochsensibel erfasse ich jede Gereiztheit, die den Fluß stören könnte. Die Vision eines Comics kommt auf, und ich sehe ihr Gesicht komplett eingedätscht von meiner Faust, die Faust steckt tief im Gesicht, das Ganze ein Standbild. In Wirklichkeit pfeife ich ihr ein Gähnen um die Ohren, das sich gewaschen hat, und das tut ihr jetzt richtig weh, weil, sie sich nicht wehren kann, überall wird ja unhöflich öffentlich gegähnt, wahrscheinlich tut sie«s selber, nur daß ich gar nicht müde aussehe und sie die Absicht voll mitkriegt und ich schnappe mir wortlos im Wegdrehen die Schachtel, richtig unerhört, tauche unter ihrem kalten Zischen weg; ja, wäre sie nur bei ihren Schwestern auf der Meldestelle, sie hätte mich vor den ganzen Willkürlakaien zur Sau gemacht und in den Kerker werfen lassen, aber hier dirigiere ich, ihr wolltet es so, du hast verloren, träum« nur weiter deine kleinen Beamtenträume, keine Angst, Leute wie du werden in diesem Land immer gebraucht werden, und wenn mit dem Monopol deine kleine Macht schwindet, mach «ne Umschulung und werde Pflegerin im Bundeswehrkrankenhaus.

Schön auch, wie selten man jemand was anderes als Zigaretten kaufen sieht, weil«s ja auch peinlich ist, ohne Toastbrot in die Post rein und mit wieder raus, ja, die vergaß, daß sie die Post ist und wird mit diesem Konzept sowas von auf die Nase fallen, daß es eine Freude ist. Fangt jetzt bloß nicht an mit Mitarbeiterschulungen, das Zurückbleiben,...BITTE!!! auf den Bahnhöfen genügt an Höflichkeit für den ganzen Tag, wenn«s regnet in Berlin.

Oliver Bauer

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 15/16 - 1998