Ausgabe 15/16 - 1998berliner stadtzeitung
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Sach- und Fachgeschichten

Zwei Neuerscheinungen zu Kunst und Kultur in Berlin

Ersparen wir uns an dieser Stelle lange Vorreden über das Bermudadreieck Kunst, Hauptstadt und Publizistik.

Neue Bücher sind da. Sie wollen dem "Phänomen Berlin" im Bereich der Kultur nachgehen (das mit modisch-neudeutschem großem Binnen-H ausgestattete KulturHandbuch) oder vor allem - der "literarische Führer" - zum "literarischen Lokalaugenschein verführen". Also los.

Die einleitenden historischen Abrisse des dickleibigen KulturHandbuches sind, nach Sparten sortiert, in traditioneller Manier geschrieben: Keine neuartigen Überraschungen werden präsentiert, aber zumeist sind die Verfasser in Stoffauswahl und -darlegung sicher. Indirekt werden dabei auch die Dauer-Hymnen über vermeintlich Goldene Zeiten relativiert und auch Verfilzungserscheinungen zwischen Kultur und Politik nicht verschwiegen.

Im Vorwort indes beweist Klaus Siebenhaar, in seinen Hauptberufen Chef der Öffentlichkeitsarbeit am Deutschen Theater und Leiter des Studiengangs "Kultur- und Medienmanagement" an der Hochschule für Musik Hanns Eisler, einmal mehr, wie man mit einer Unmenge von Zitaten und dem exzessiven Gebrauch eines Fremdwörterlexikons einem Text wesentliche Aussagen verweigern kann. So werden beispielsweise im Spannungsfeld von "anachronistisch mentalen Dispositionen" und "retrograden Kultur- und Urbanitätsentwürfen" unter anderem "Transformationsprozesse evoziert", die "unverwechselbare kulturelle Maßstäbe und Artefakte" hervorbringen, die zugleich den "urbanen Habitus" der Metropole ausmachen.

Gehen wir schnell zum alphabetisch geordneten Hauptteil, der Artikel zu Personen, Institutionen und allgemeinen Schlagworten versammelt. Dabei tauchen in den zuverlässig recherchierten Beiträgen mehr oder minder vertraute Namen auf; über die Auswahl ließe sich wie immer streiten - warum fehlt der eine Name, warum taucht dieser auf - insgesamt ist es aber eine nicht ungeschickte Auswahl auf aktuellem Stand. Die "Querschnitts- und Sammelartikel" hingegen sind die wertvolleren Beiträge, werden doch hier auch Gewichtun-

gen und Verknüpfungen geleistet. Darstellungen etwa zu "Kunstauktionshäusern", "Kunst- und Kulturpreisen", "Kultur und Banken" oder "Kultur in Kirchen" beleuchten Facetten, die sonst leicht übersehen werden. Und mit Notizen unter der Überschrift "Hotels für Kunstfreunde" wird geradezu journalistisches Neuland betreten.

Der Anhang schließlich bietet neben reichlichem Adressmaterial auch allerlei Wissenswertes vor allem über die oftmals ungeliebte Seite von Kunst und Kultur: Statistiken zur Kulturförderung und "Eckdaten des Berliner Kulturhaushalts" runden das Bild ab. Eine Auswahlbibliographie ist ebenfalls angefügt. Es ist müßig, über diese Zusammenstellung zu lamentieren, ist doch die Flut von Publikationen über diese Stadt und auch über einige Bereiche selbst für Interessierte unüberschaubar. Das wirkliche Manko indes liegt im Fehlen eines Registers, das Querverbindungen ziehen und die einzelnen Kapitel miteinander in Beziehung setzen könnte.

Die Beiträge des Hauptteils sind zumeist freundlich bis neutral gehalten, nicht zuletzt weil den betreffenden Personen und Institutionen die Möglicheit des Gegenlesens eingeräumt wurde. Dennoch oder gerade deshalb finden sich Eigentümlichkeiten: Man fragt sich schon, warum die Neuköllner Maientage, eines der üblichen Chinapfanne-Grillwurst-Caipirinha-und-Schultheiss-Feste, unter der Rubrik Kulturfeste aufgenommen wurde, warum es erwähnenswert ist, daß die Lokalität Knorre ein "umfangreiches Angebot an Speisen und Getränken" bereithält, wie die Wertung, das b-flat sei der "innovativste Club im Ostteil der Stadt", zustande kam. Schlicht unverständlich ist die Bemerkung, die "Übergabe eines sanierten Teilstücks der Hackeschen Höfe, zu der sich im Juni 1995 rund 50000 Schaulustige versammelten, wurde zu einem Fanal für die "Wiederinbetriebnahme der kulturellen Mitte Berlins".

Um diesen Satz zu verdauen, setzen wir uns auf das Dach der Info-Box, "das erste Haus am Leipziger Platz, das sowohl an Karl Friedrich Schinkels Bauakademie als auch an visionäre architektonische Entwürfe der 20er Jahre von "der Stadt über der Stadt" anknüpft, und werfen einen Blick in ein etwas weniger gewichtig daherkommendes Buch, den "Literarischen Führer Berlin".

Beginnen wir hinten. Dieser Band bietet mehrere Register zu Straßen und Plätzen, die literarisch beackert wurden, zu Parks und Friedhöfen und natürlich zu Autoren, sofern sie bis zum Winter 1996/97 verstorben sind. Man tut gut daran, stets ein Lesezeichen in diesem hinteren Teil zu halten, hat der Band doch ansonsten einen ausgeprägten Lexikon-Charakter: Kein Buch zum Schmökern, eher ein Kompendium, das um den Preis einer möglichst großen Lesbarkeit Fakten, Fakten, Fakten zum Literaturstandort Berlin komprimiert.

Es ist, mit Abdrucken von Romanauszügen und Gedichten, Karten zu berühmten Schauplätzen - z.B. zu der Route des Räubers in "Emil und die Detektive" oder zu den Künstlerlokalen im "Neuen Westen" - mit Adressen von Institutionen, historischen und thematischen Exkursen sowie Rundgängen durch alle Stadtteile undundund eine Fundgrube. Daß dabei Reinickendorf oder Neukölln deutlich weniger Platz beanspruchen als Schöneberg oder Mitte, war zu erwarten, daß aber etwa Marzahn-Hohenschönhausen-Hellersdorf auch Spuren literarischer Produktion aufzuweisen haben, ist als nette Überraschung zu werten - auch wenn sie in einem Überblicksartikel abgehandelt werden können. Die Spaziergänge durch die Stadtteile beschränken sich in ihren Wertungen nur auf das Nötigste. Sie sind indes zuweilen überfrachtet mit Namen und Daten und reihen, da rein geographisch orientiert, Fakten aus verschiedenen Epochen hintereinander - die dazwischengeschobenen Exkurse können nur zum Teil entschädigen.

Und so bleibt abschließend doch noch ein Vorschlag für eine Ergänzung zu machen: ein Werkregister, das es etwa ermöglichen würde, die Wege der Treibels oder des Franz Biberkopf nachspazieren zu können.

Beide Bände versammeln dichtgedrängtes Expertenwissen - nur für welches Publikum?

Sören Matthies

Klaus Siebenhaar (Hg.), KulturHandbuch Berlin, Geschichte und & Gegenwart von A-Z, FAB: Berlin 1998, 494 S., 58 DM;
Fred Oberhauser / Nicole Henneberg, Literarischer Führer Berlin,
Frankfurt a.M. und Leipzig: insel 1998, 516 S., 32,80 DM

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