Ausgabe 15/16 - 1998berliner stadtzeitung
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Die Radiokolumne

Nr. 13 ist gleichzeitig die letzte an dieser Stelle. Vielleicht konnten ein paar Leute mit den Programminformationen das gute alte Dampfradio neu für sich entdecken. Mit Wort- und Kulturprogrammen sind wir in Berlin zum Glück relativ reich gesegnet. Es gibt also durchaus nicht nur die stromlinienförmigen Programme mit ihren Info-Häppchen und KlassikOldiePopHits, die immer knapp am Ohr vorbeirauschen.

Allerdings gehört wie immer ein bißchen Anstrengung dazu, wenn man wirklich etwas erfahren will - man muß eben zuhören und ab und zu den Sender wechseln, z.B. zu einem der folgenden:

DeutschlandRadio Berlin (DRB; UKW 89,6 MHz), Deutschlandfunk (DLF; 97,7), Radio Kultur (RK; 92,4), Radio 3 (96,3), Radio Multikulti (SFB 4; 106,8) und Radio 1 (95,8).

Wie bestellt kommen dann auch zwei Sendungen über das Radiohören und das Sinnesorgan, das wir dazu benutzen. Die erste ist eine Erinnerung an Fahrten über die Berliner Radiowellen in den 80er Jahren, als noch die Programme der Alliierten dazugehörten: "Ich höre Radio - eine Liebeserklärung" von Ulrich Raulff (Sa, 29.8., 22.00 RK). Der Text handelt von der Lust am Hören, der Liebe zur (Radio-)Musik und der Konzentration auf einen Sinn.

Um eben jenen Sinn, den Hörsinn geht es in einem Radio-Puzzle von Karl Karst mit dem Titel "Das Ohr" (Mi, 26.8., 22.00 RK). Es soll keine Belehrung, noch ein kulturpessimistisch-esoterisches Ausspielen "Ohr" contra "Auge" sein. Vielmehr ein Alphabet in kleinen Szenen von Akustik und Bariton über Hörfähigkeit und Hörgrenzen, Innenohr, Ohrfeige, Ohrwürmer und Physiologie bis hin zu den Walen, Walkmännern und Weltraum, alles in allem eine anregende und unterhaltende "Schule des Hörens". "Das Ohr" wurde übrigens 1997 mit dem Radio-Publizistikpreis der Fördergemeinschaft Gutes Hören ausgezeichnet, also wenn das nicht überzeugt.

Vor 25 Jahren wurde in Chile ein ungewöhnliches Experiment blutig beendet: 1970 war die radikale Linke um Salvador Allende durch freie Wahlen an die Macht gekommen. Waren es die zahlreichen Fehler der neuen Regierung oder die massiven Zugeständnisse an die Bürgerlichen, die Allende und die Unidad Popular scheitern ließen? Einige Antworten darauf liefert das Feature "Der Weg zum Putsch" (Fr, 11.9., 14.35, DRB), eine Chronik des Putsches sendet Radio Kultur ("Santiago 1973", Mi, 9.9., 22.00 RK). Die Lieder der Zeit, vor allem von Victor Jara sendet DRB ebenfalls am Freitag, 11.9. (14.05). Chileninnen, die 25 Jahre nach dem Putsch noch immer im Berliner Exil leben, werden am Montag,dem 14.9. porträtiert (19.05 RK).

Musik im Radio habe ich bisher weitgehend ausgeklammert, da ohnehin jeder seinen eigenen Geschmack hat. Über jede Geschmäcklerei dürfte jedoch ein Konzertmitschnitt mit dem Bassisten Renaud Garcia-Fons erhaben sein (Fr, 18.9., 21.05 DLF). Er kann seinen Baß wirklich zum Singen bringen und wandert mit seinen Musikern vom "Oriental Bass"-Projekt durch musikalische Räume der französischen Folklore, andalusischen Flamenco, arabische Tonskalen und natürlich den Jazz. Eine gut moderierte Sendung mit klassischer Musik stellt wöchentlich einen Komponisten in den Mittelpunkt (Mo-Fr, 19.30 RK). In der Woche ab 7.9. wird es Schostakowitsch sein, ab 14.9. der unsterbliche Bach. Vielleicht schon eher eine Geschmackssache, aber ohne Zweifel ein Dokument über die Poesie eines untergegangenen Landes ist der Mitschnitt des letzten Konzertes von Gerhard Gundermann. Radio Kultur sendet ihn in zwei Teilen (Di, 8.9. und Do, 10.9., 21.05 RK).

Es sei mir zum Schluß noch einmal erlaubt, fünf persönliche Highlights aus den Kulturprogrammen zu empfehlen: für Bücherfreunde der tägliche Büchermarkt (16.10 DLF) und die sonntäglichen Noten zur Literatur (So, 16.15 RK); die Stadtreportage Gulliver (Sa, 17.05 RK), die Essays der Reihe Perspektiven (Do, 22.00 RK) und die Diskussionsrunde BerlinMitte, die man ab September auch wieder sonntags im Berliner Ensemble livehaftig erleben kann (So, 12.05, Wiederholung Mo, 22.00 RK).

Carsten Sprenger

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  Ausgabe 15/16 - 1998