Ausgabe 13 - 1998berliner stadtzeitung
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Jobwunder USA?

Was machen die USA anders? - Die amerikanische Jobmaschine

Schnell sind sie parat, die Schlagworte, mit denen die Jobmaschine USA umschrieben wird: sensationelle 4,3% Arbeitslose im Mai, Flexibilität, Deregulierung, Dienstleistung... Diese Erfolgsstory gilt es zu hinterfragen. Dies zu tun, trafen sich Experten am 17. Juni auf Einladung der Senatsverwaltung für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen, des DGB Berlin-Brandenburg und des Amerika-Hauses.

Euphorie angesichts der amerikanischen Arbeitslosenquote - das wurde sehr schnell klar - ist nicht angebracht. Ein Vergleich zum deutschen Arbeitsmarkt ist aufgrund unterschiedlicher Berechnungsgrundlagen nicht ohne weiteres möglich. In den USA gelten schon wöchentliche Arbeitszeiten von mehr als 1 Stunde als Beschäftigung. Immerhin 5% aller Erwerbstätigen arbeiten weniger als 14 Wochenstunden. Es kursiert dort der Witz: "Über 10 Millionen neue Jobs? Gut und schön: Ich habe drei davon."

Legt man hiesige Berechnungen zugrunde, dann kommt man auf eine ernüchternde Quote von ca. 14%. Was dennoch bleibt, ist die Tatsache der Erhöhung der Zahl der Erwerbstätigen und der Jobs. Interessant ist, daß es sich dabei keineswegs nur um Billigjobs handelt. Mehr als die Hälfte des Zuwachses liegt im oberen Verdienstdrittel. Und: zum überwiegenden Teil partizipieren die Frauen von mehr Arbeit. Die Gründe für den Positivtrend sind so vielfältig wie die der Negativentwicklung in Deutschland. Die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen erlauben den Unternehmen wesentlich mehr Gestaltungsspielräume bezüglich Lohnniveau und Kündigungsschutz. Die USA sind steuerfreundlicher, Wege in die Selbständigkeit von bürokratischen Hürden beräumt. Dienstleistungen haben in der Tat (fast überall auf der Welt) einen höheren Stellenwert als in Deutschland und dem Sozialsystem liegt ein wesentlich groberes Raster zugrunde. Die Schattenseiten solchen Wirtschaftens liegen auf der Hand: zähnefletschend und flächendeckend regiert ein Kapitalismus Marxscher Prägung. Nie war die Schere zwischen Arm und Reich so gravierend. Die Einkommen von 80% aller Beschäftigten sind seit 1980 immer weiter gesunken. Der staatliche Mindestlohn liegt bei 5,15 Dollar. 20% der US-Arbeitnehmer fällt in die Kategorie der "working poor" mit einem Lohn unter der Armutsgrenze von 10062 Dollar. Dort arbeitet man also für weniger, als dem deutschen Sozialhilfeempfänger zusteht. Demgegenüber verdiente ein Generaldirektor 1995 das 141fache seines Arbeiters. In den vergangenen zwei Jahren stiegen die Einkommen der Bosse nochmals um 54% bei einem Wachstum von 11%. Ob dies zu übernehmen ist, steht nicht zur Debatte, sondern ob und wie es vermeidbar ist.

Verschiedene Kompensationsmodelle versuchen die Härten nach unten abzufedern. Beispielgebend wurde auf der Konferenz das Sozialsystem des Staates Wisconsin von dessen Arbeitsministerin Linda Stewart vorgestellt. Ein dreistufiges Programm mit dem Titel "WISCONSIN ARBEITET" umfaßt 1. eine Arbeitsvermittlung auf den freien Markt,
2. staatlich geförderte Einstiegs- und Probebeschäftigungsverhältnisse in zeitlicher Begrenzung mit dem Ziel der Festanstellung,
3. gemeinnützige Arbeiten zum Erwerb der regelmäßigen Arbeitsfähigkeit incl. Ausbildung und
4. ein Übergangsprogramm für die letzten, die "lost people" in Form geringfügiger gemeinnütziger Beschäftigung. Die Beteiligung ist auf zwei Jahre begrenzt. Anders als bei deutschen subventionierten Beschäftigungsmodellen zieht die Weigerung der Beteiligung den Entzug jeglicher Hilfe nach sich.

Alternativmodelle in Deutschland (Kombi-Lohn, Beschäftigungsgesellschaften) werden durchaus erprobt, ohne eine grundsätzliche Veränderung der wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen sind sie aber nur Tropfen auf den heißen Stein. Weitgehender parteienübergreifender Konsens besteht lediglich bei der Steuersenkung für untere Lohngruppen. Ob das allein als Anreiz zur Arbeit ausreicht, ist zu bezweifeln.

Arbeitslosenunterstützung könnte stärker abgestuft werden und über eine Aufhebung der prozentualen Berechnung zugunsten von Festbeträgen ist grundsätzlich nachzudenken. Arbeit muß selbstverständlich wieder mehr einbringen als Nicht-Arbeit.

Fazit: Die Betrachtung des US-Arbeitsmarktes ist als Anregung wertvoll, deutsche Bedingungen erfordern aber eine starke Modifikation. Beispielgebend ist die Konsequenz, mit der die Politik durch Steuererleichterungen für Unternehmen Anreize für Investitionen und höhere Risikobereitschaft geschaffen hat. Auch wenn die Meinung unpopulär ist: über tarifliche Neuorientierungen für mehr Arbeitszeitflexibilität (i.S.v. mehr Teilzeit) sowie eine zeitweise Lohnzurückhaltung muß auch in Deutschland nachgedacht werden.

Berit Wich-Heiter

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