Ausgabe 12 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Scharf gemacht

Im Rahmen der Innenstadtaktionstage wurden im Tiergarten 100 Minen verlegt. Einen 30 Meter langen und zwei Meter breiten Sandstreifen hatte sich der "Deutsche Sicherheitsdienst" für seine "Minenlegung" ausgesucht. Zehn Uniformierte in schicken Tarnanzügen bewachten die ganze Aktion, gekommen waren an die 40 Zuschauer und eine größere türkische Familie, die nebenan eine Grillparty veranstaltete. Selbige nahmen's gelassen hin, daß hier, vor dem zukünftigen Regierungsviertel, ein paar Verrückte Kochtopfdeckel im Sand vergruben - ihnen war so leicht nichts vorzumachen. So richtig ernst hat dann auch keiner die Aktion genommen, bis auf einen älteren Herrn, der angesichts der Absperrung und der Uniformen tatsächlich an eine Minenlegung glaubte und nachfragte, ob er denn nun hier passieren dürfe.

"Ordnung und Sicherheit müssen im Alltag und auch in Extremsituationen gewährleistet sein", lautete die lapidare Antwort des Einsatzleiters auf die Frage nach dem Sinn einer Minenlegung in öffentlichem Gelände. Was er persönlich davon hält, darüber schwieg er wie auch die anderen seiner Kollegen. "Persönliche Motive und Ansichten dürfen hier keine Rolle spielen." Auf den Vorwurf eines anwesenden Journalisten, daß hier der Tod Lady Dis, die sich vehement gegen Minen eingesetzt hat, schamlos ausgenutzt wird, reagierte der Einsatzleiter herablassend: "Lady Di, das ist romantisches Getue, das nicht mehr in unsere Zeit paßt. Hier geht es um die Sicherheit hunderter Regierungsbeamter!" Die Sicherheit der Regierenden sei oberste Prämisse, war zu hören und "Man muß den Leuten mit scharfen Waffen begegnen." Das bevorzugte Klientel für die Minen seien Verbrecher, Kriminelle und überhaupt "Leute, die unkontrolliert den Tiergarten benutzen." Daß gleichzeitig mit der Abschreckung von Terroristen die Minen auch gegen "wild grillende Türken" eingesetzt werden können, sei nur recht und billig, so der Einsatzleiter. Überhaupt würden die Minen aus Rationalitätsgründen eingesetzt, sie seien weitaus billiger als Wachpersonal, daß man zur Sicherheit des Regierungsviertels einsetzen müsse. Ob der Vorschlag der Innen.Stadt.Aktions-Gruppe bei den Regierenden Anklang fand, war an diesem Tage nicht herauszubekommen. Innenminister Kanther weilte zwar nur einen halben Kilometer Luftlinie entfernt, am Brandenburger Tor, zwecks Verleihung des "Deutschen Filmpreises" (ehemals Bundesfilmpreis), wollte sich aber nicht die Zeit nehmen, die Verminung zu begutachten. Schade eigentlich, denn dann wüßte er, auf welches Stück Rasen er nicht treten dürfte, wenn das Kanzleramt eingeweiht wird, denn der Einsatzleiter empfahl den Regierenden eine Route, die verdächtig nah an den Kochtopfdeckeln vorbeiführt. Daß mir da mal keiner stolpert!

meb

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