Ausgabe 12 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Techno hört heut jeder

Tolshog aus Berlin nennen einen Track ihrer famosen ersten Platte "Techno", machen aber dennoch Post-Knüppel-Schleppcore ohne doppelten Boden und Gesang.

Das größte Problem von Tolshog ist, daß ihre vor kurzem erschienene erste Platte vor zehn Jahren noch Debüt des Jahrtausends geworden wäre, heute aber gerade noch Randnotitz in den Hipness-Spickern werden kann. Post-hardcore ist aus dem Zentrum des Interesses in die Nebenschauplätze der Fanzines gedrängt worden. In den Plattenläden sucht man nicht mehr verzweifelt nach Platten des legendären SST-Labels, nach Blind Idiot God, October Faction und wie sie alle heißen, sondern nach 12-Inches von Photek oder Squarepusher, nach der elektronischen Abstraktion, die den Gitarrenzupferschweiß zusehends schaler riechen läßt.

Andreas Meyer, Gitarrist von Tolshog, geht im Kampf gegen die Chronik eines angekündigten Todes von Posthardcore zunehmends die Luft aus. "In den großen Stadtmagazinen hast du als kleine Gitarrenband kaum noch eine Chance. Im Tip hatten wir zwar vor ein paar Monaten ein kleines Feature bekommen. Doch dafür mußt du auch kämpfen und findest dann bei weiteren Konzerten in Berlin kaum noch Erwähnung". Wobei es bei den Stadtzeitungen weniger um den Paradigmenwechsel zur Elektronik geht, sondern mehr darum, Familienzeitung zu sein. Neil Young für den Opa, Plattenrezensionen mit einem, zwei oder drei Sternchen für Onkel Hans, Pulp für Inge und wenn die Schtones ihr Sauerstoffzelt in den Welttournee-Golf packen, dürfen Greise wie Wolfgang Doebeling nochmal erzählen, wie das denn war, als man bei der ersten selbstgekauften Schtones-Platte seinen ersten Pickel bekam.

Instrumentaler Kopfcore wie der von Tolshog hatte es allerdings noch nie besonders leicht. Mag man auch damals bis zum Erbrechen in der "Spex" den Avant-Core von SST-Bands abgefeiert haben, verkauft haben Sonic Youth ihre Platten dann doch erst nach ihrer SST-Zeit. Wie der zweite Teil des blöden Spruches "Was gut ist, setzt sich durch" denn nun wirklich nur zutrifft, wenn fett und häßlich ist, aber dafür einen potenten Bierpusher die Promotion machen läßt, darauf kann man bei Tolshog im Poesiealbum einen mit naßgeweinter Tinte geschriebenen Abgesang lesen. Denn: Super Platte (Vinyl only) eigenfinanziert - Leerzeichen - und dann? Nichts. Da waren sie wieder die Doebelings dieser Welt. Was fett und häßlich ist, soll fetter und noch viel häßlicher werden. Tolshog? Steht über die denn überhaupt was in der "Face"? Und in den Clubs drehen jetzt eh viel lieber die kleinen Brüder der Clubbesitzer ihre Lieblings-Donna-Summer-Scheiben rund - ist billiger und die Leute trinken Coktails statt Bier? Kitty Yo, du Label, das angetreten ist, Berlin zu retten, warum hast du der Welt Tolshog nicht geschenkt? Will wirklich niemand mehr verkreuzkanteten Rock mit mehr Breaks pro Minute hören als Tore bei der Fußball-WM fallen werden? Baß, Schlagzeug, Gitarre - bei Lou Reed finden das alle klasse und bei Tolshog kann man sich sogar das furchtbare Genöle dazu sparen. Ist das etwa nichts? Es ist sogar noch besser: Schlagzeug, Gitarre, Gitarre - so werden sich Tolshog bei ihrem nächsten Konzert im Eimer präsentieren. Gäbe es keinen Postrock, müßte man ihn erfinden, damit Tolshog die Schublade hätten, in die sie nicht hineingehören.

Andreas Hartmann

Tolshog: Am 26.6. Konzert im Eimer.

Die Platte von Tolshog kann man beziehen über: Andreas Meyer, Adalbertstr.3, 10999 Berlin. Tel 030/6157320. Internet: www.Thing.De/Musik/Tolshog/Welcome.HTML

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