Ausgabe 11 - 1998berliner stadtzeitung
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Ohne Direktor, ohne Zensuren, ohne Putzfrauen!

Die Schule für Erwachsenenbildung "SFE" im Mehringhof

Ein typischer Unterrichtstag an der SFE? "Das ist ja gerade das, was ich gut finde, daß es einen immerwiederkehrenden Tagesablauf nicht gibt!" Andreas, 32 J., hat hier seinen Weg gefunden, das Abitur doch noch zu machen. Vor Jahren hatte er das Gymnasium abgebrochen, da er mit dem "autoritären Machtanspruch einzelner Lehrer" nicht zurechtkam, eine Berufsaubildung führte aus den gleichen Gründen zum Mißerfolg. Auch Julia, 26 J., Mutter eines siebenjährigen Kindes, legt Wert auf selbstverantwortliches Handeln. Hier habe man die Möglichkeit, auch einmal zu sagen, "ich komme morgen nicht", ohne daß man zur Rechenschaft gezogen wird. Pflichten ergeben sich eben aus den Sachnotwendigkeiten selbst: "wenn ich hier den Dreck liegen lasse, den Teller nicht abwasche, dann ist es hier im Grunde wie zuhause auch."

Am Anfang stand ein Schulstreik

Die SFE bereitet z.Zt. 250 Schüler und Schülerinnen auf das Abitur und die Mittlere Reife vor, sie beschäftigt 16 Lehrkräfte und 4 Büroangestellte. Am Anfang der Geschichte der SFE steht ein Schulstreik, der 1972 an "Gabbes Lehranstalten", einer damals renommierten Privatschule, stattfand. Klaus Trappmann, Lehrer für Deutsch und Kunst, erinnert an Zusammenhänge der damaligen Ergegnisse: den Akademikerbedarf der frühen 70er Jahre, das wachsende Bildungsstreben junger Arbeiter. Das alles hatte damals zu einem Boom der Erwachsenenbildung in Berlin geführt. Eine allgemeine Politisierung durch die Studentenbewegung, eine Kritik überkommener Lehrinhalte und autoritärer Lehrformen und Proteste gegen finanzielle Profite des Lehrinstitutes führten dann schließlich zu dem Schulstreik, der mit einem massiven Polizeieinsatz beendet werden sollte. Am Ende stand der Entschluß, eine eigene selbstverwaltete Schule mit emanzipatorischem Anspruch zu gründen. Mehrere hundert interessierte Schüler und einige Dutzend Lehrer, die das Experiment wagen wollten, ermutigten dann schließlich, den Schritt zur Schulgründung zu tun. Am 1. April 1973 wurde die SFE gegründet.

Lust am Lernensteht im Zentrum

Die Selbstverwaltungsidee ist die Grundlage der Schule, es gibt "keinen Direktor, keine Zensuren, keine Putzfrauen", so Trappmann. Es sei auch von Anfang an Konsens gewesen, "daß die Lust am Lernen im Zentrum stand und weniger der Leistungsstreß". Bei seiner Bewerbung als Lehrer an dieser Schule habe er sich einem Schülerkollegium vorstellen müssen, auch die Lerninhalte werden letztlich durch die Schüler bestimmt. Bei Schulgründung habe man noch gemeint, eine Lehrer-Schüler-Parität in den Entscheidungsgremien festschreiben zu müssen, aber bald sei man zu reinen Mehrheitsentscheidungen übergegangen. Das Lernkonzept dieser Schule führe dazu, daß Fähigkeiten entwickelt werden, die im modernen Arbeitsleben gefragt sind: Flexibilität, Denken in komplexen Zusammenhängen, Mobilität, Selbstbestimmung. Heute erwarte die Berliner Schulverwaltung aufgrund der Finanznot von Eltern und Schülern eine stärkere Identifikation mit der Schule, die Übernahme von Reinigungs- und Renovierungsarbeiten in Selbsthilfe. "Das ist bei uns schon immer so", amüsiert sich Trappmann.

Vermeidung von Autoritätskonflikten

Früher seien es vor allem "Aussteiger" aus dem klassischen Berufsleben gewesen, die über den zweiten Bildungsweg mehr Individualität und Selbstverwirklichung erreichen wollten, heute dagegen habe es die Schule vor allem mit jungen Erwachsenen zu tun, die noch nie die Chance gehabt haben, im gesellschaftlichen Rahmen "drin" gewesen zu sein. Berliner Schulen versagten oftmals vor Jugendlichen aus der "Hausbesetzerszene" oder der "Prenzelbergszene".Die SFE pflege dagegen einen Unterrichtsstil, in dem nichts an eine gewöhnliche Schule erinnert und so auch keine Autoritätskonflikte provoziert werden. Übrigens können zum Unterricht auch Hunde mitgebracht werden. Trotz des internen Verzichts auf Zensuren, die Prüfungen am Ende müssen extern abgelegt werden! Das bedeute für den Schulalltag dann doch, "die Prüfungsrealität nicht aus den Augen zu verlieren", räumt Trappmann ein.

Elternunabhängiges BAFöG

Die Schule erhebt ein monatliches Schulgeld von 260 DM für Abi-Klassen und 230 DM für die Mittlere Reife. Für das Abi kann ein elternunabhängiges BAFöG beantragt werden, für die Schülerinnen und Schüler, die sich auf die Mittlere Reife vorbereiten, kann oft eine Finanzierung über das Jugendamt erreicht werden. Für die Anmeldung in den Mittlere Reife-Klassen ist ein Hauptschulabschluß nicht erforderlich.

Harald Wernicke

Für nähere Auskünfte: Tel. 6937048

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  Ausgabe 11 - 1998