Ausgabe 11 - 1998berliner stadtzeitung
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"Es ist eine Wut gegen alles"

Arbeitslose, Glückliche Arbeitslose, Grundeinkommen und ohne Arbeit Spaß dabei - in der letzten Zeit ein beliebtes Thema. Aber was bedeutet Arbeit und der Abschied von der Arbeitsgesellschaft für den einzelnen?
In loser Folge veröffentlichen wir auf dieser Seite Interviews zu diesem Thema: Mit Männern und Frauen, Ostlern und Westlern, Alten und Jungen, Arbeitenden und Arbeitslosen ...

Interview mit Andreas V., Künstler in Weiterbildung, 34 Jahre

Was machst du zur Zeit?

Zur Zeit mache ich eine vom Arbeitsamt geförderte Maßnahme in Multimedia. Ganz konkret werde ich in 12 Monaten crashmäßig zum Online-Grafiker ausgebildet und dann über den jetzigen Ausbildungsträger in den Arbeitsmarkt integriert und zwar koste es was es wolle.

Was heißt "koste es was es wolle"?

Die haben die Auflage, mindestens 60% der Leute, die an dieser Maßnahme teilnehmen, auf dem Arbeitsmarkt unterzubringen. Offiziell ist schon ein 620-Mark-Job eine Arbeitsvermittlung.

Was hast du davor gemacht?

Kunst studiert, aber mit Kunst kein Geld verdient. Drei Jahre als Schallplattenverkäufer gearbeitet, deshalb habe ich auch Arbeitslosengeld bekommen. Als Künstler bin ich ja nicht arbeitslos gemeldet, aber weil ich Kunst studiert hatte, durfte ich an dieser Weiterbildung teilnehmen.

Wie lange warst du arbeitslos?

Zweieinhalb Jahre.

Bist du aufs Arbeitsamt zugegangen oder sind die zu dir gekommen?

Nein, nein, ich bin aufs Arbeitsamt gegangen. Von denen kommt ja gar nix, die sind völlig überfordert. Wenn du was willst, dann mußt du schon Eigeninitiative ergreifen und da hingehen und mit denen durchchecken, was möglich ist und was nicht. Und vor allem dann auch was klarmachen.

Wie war die Zeit der Arbeitslosigkeit?

Ziemlich genau zweigeteilt. Die erste Hälfte der Zeit war sehr angenehm, weil sie genügend zeitlichen Freiraum ließ, um die Dinge aufzuarbeiten, die sich die drei Jahre, während ich gearbeitet habe, angestaut hatten. Das war sehr angenehm, Geld zu bekommen und Dinge für sich persönlich machen zu können. Die andere Hälfte war genau das Gegenteil davon. Einmal weil das Geld immer knapper wurde und dann, weil es immer schwieriger wurde, eine abgesicherte Perspektive auf die Zukunft zu haben. Es stellte sich dann als etwas negatives heraus, viel freie Zeit zu haben. Weil, wenn du viel freie Zeit hast, dann hast du auch viel freie Zeit, um über Dinge nachzudenken. Das dumme war, daß ich dabei auf keinen grünen Zweig kam und immer stärker in negative Bereiche vorgedrungen bin.

Worüber hast du nachgedacht?

Erstmal, in was für einer Zeit ich lebe und wie ich mich in dieser Zeit definieren kann. Und was meine Maßstäbe gesellschaftlich bedeuten, also ob ich eigentlich frei bin oder ob es nicht Prämissen gibt, die mich ganz klar bestimmen. Und der andere Punkt ist das Klima, von dem du regelrecht überfallen wirst, wenn du vor die Türe gehst.

Was ist das für ein Klima?

Ich finde, das ist ein sehr finsteres, sehr aggressives, latent gewalttätiges Klima. Es ist draußen richtig zu riechen, daß extrem viele Leute unzufrieden sind und keine Essenz in ihrem Leben haben.

Hat das auch damit zu tun, daß sie keine Arbeit haben?

Ich gehe davon aus, daß es damit etwas zu tun hat.

Ist das Hauptproblem am Zustand der Arbeitslosigkeit, daß man immer weniger Geld hat? Wäre es also grundlegend anders, wenn man genügend Geld hätte?

Der Zustand ist eigentlich immer absurd. Wenn du regelmäßig arbeiten gehst, dann hast du ja auch das Geld, um dir in einem gewissen zeitlichen Rahmen Dinge leisten zu können, aber du hast eben kaum Zeit. Wenn du zuviel freie Zeit hast, hast du den geldlichen Rahmen nicht, um dich frei zu bewegen. Du bist so oder so nicht in Bewegung. Ich denke schon, daß es ein Geldproblem ist. Allerdings ist das auch deshalb so, weil dich das System daraufhin konditioniert. Und es läuft ja auch immer mehr darauf hinaus, daß du kaum einen Freiraum hast, um dich außerhalb der kapitalistischen Interessen zu bewegen, die nicht deine Interessen sind.

Wie war der Übergang von der Arbeitslosigkeit in die Fortbildung?

Der war erstmal euphorisch, weil es ein konkretes Ziel gab. Der positive Aspekt ist, daß ich etwas lernen kann. Das andere ist, daß ich unter Druck stehe, einen Job zu finden. Und es kann gut sein, daß ich mich unter Preis verkaufen soll/muß/kann. Und ich werde das wahrscheinlich nicht tun wollen.

Das heißt, du kannst dir vorstellen, danach wieder arbeitslos zu sein?

Nicht unbedingt. Ich weiß, daß ich viel Eigeninitiative bringen muß, daß ich nachher nicht in einen Zustand komme, für 15 Mark bei Pixelpark arbeiten zu müssen. Längerfristig strebe ich den Zustand an, wieder so ähnlich wie ein Künstler zu arbeiten, nämlich selbständig. Auf eine längere Arbeitslosigkeit habe ich keine Lust mehr. Das Schlimmste, was dabei passiert, ist, daß du dein Selbstbewußtsein verlierst und dich nicht mehr definieren kannst. In dem Moment wirst du formbar, fast schon devot. Allerdings entwickelt sich in diesem Zutand dann auch eine ziemlich heftige Wut.

Gegen wen?

Erstmal gegen irgendwas abstraktes, verdreht gesagt, gegen deine Zeit, aber das ist ja Quatsch, der Zeit die Schuld zu geben. Es ist eine Wut gegen alles, was versucht, dich zu bestimmen. Ein Aspekt ist, daß ich mich jetzt für Politik interessiere. Für mich ist das zur Haltungsfrage geworden, sich den Verhältnissen laut zu widersetzen.

Du hast dich vorher für Politik nicht interessiert und hast dich als Arbeitsloser politisiert?

Ja, das war vorher gar kein Thema.

Interview: Stefan Strehler

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  Ausgabe 11 - 1998