Ausgabe 10 - 1998berliner stadtzeitung
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Resozialisierung der Bahn

BahnAttack: Der Eisenbahner-Klub für "Wohlanständiges" sorgt sich um eine "attraktive Öffentlichkeit".

Die Bahn war lange das "Transportmittel für Arme", viele Bahnhofsviertel gelten als Rotlicht- und Rauschgiftbezirke. Die Deutsche Bahn AG versucht nun ihr Schmuddelimage loszuwerden.

Nach der Wende wurden die deutsch-deutschen Staatsbetriebe Bundesbahn und Reichsbahn als Deutsche Bahn AG zusammenfassend privatisiert und unter dem Dach einer Holding in fünf Geschäftsbereiche aufgeteilt, um nun als eigene "Profit-Center" der Gewinnmaximierung zu dienen. Seither ist die Bahn nicht mehr nur ein Verkehrsmittel, sondern zunehmend auch ein Grundstücksunternehmen. Durch eine eigens gegründete "Deutsche Bahn Immobiliengesellschaft mbH" sowie die "EisenbahnImmobilien Management GmbH" sollen die nicht mehr betriebsnotwendigen Flächen profitabel veräußert werden. Mit 150000 Hektar Grundfläche im geschätzten Wert von 13,4 Milliarden Mark ist die DB AG Deutschlands größter Immobilienbesitzer. Allein in Berlin gehören ihr 3400 Hektar. Bei der Neuordnung öffentlicher Räume in allen Städten der Bundesrepublik hat die Bahn AG so immer ihre Hände mit im Spiel. Ihre Flächen weisen durch enorme Größen, zentrale Lagen und eine optimale Erschließung durch den öffentlichen Verkehr einen hohen Vermarktungswert auf.

Das Bestreben der Bahn, das Bahnhofsumfeld profitabel umzuwandeln, trifft seit kurzem auf offene Ohren bei den kommunalen Verwaltungen, die wegen der zunehmenden Städtekonkurrenz "ihre" Innenstädte aufwerten wollen. Hierbei sollen die Bahnhöfe sowie ihr merklich unscharf definiertes "Umfeld" zu gemischtgenutzten Hybrid-Räumen verwandelt werden, in denen sich "Geschäfte, Restaurants, Business-Center und Wohnungen wie Satelliten gruppieren" (Heinz Dürr, Aufsichtsratsvorsitzender der DB AG). Als prominente Aushängeschilder des neuen Selbstverständnisses der Bahn AG werden Großprojekte wie der Lehrter Zentralbahnhof in Berlin und die "21er-Projekte" in Stuttgart, Frankfurt/M. oder München vorgestellt: Hier sollen im Bahnhofsumfeld die Gleise unter die Erde gelegt und darüber ganze Stadtviertel neu errichtet werden.

Die Eigentümer sehen ihre Bahnhöfe als "Krebsgeschwüre der Stadt" oder "wahre Pestbeulen" an, in denen sich "soziale Randgruppen" tummeln. "Um sich den bedrückenden täglichen Erfahrungen nicht aussetzen zu müssen und um persönlicher Gefährdung zu entgehen, wurde so mancher Bahn- zum Autofahrer", wie es Meinhard von Gerkan, Leitbild-Architekt der Bahn AG, in der PR-Wanderausstellung "Die Renaissance der Bahnhöfe" formuliert. Um die Verängstigten wieder hinter'm Lenkrad hervorzulocken, sollen die Bahnhöfe zu "Visitenkarten der Stadt" und "echten urbanen Zentren" umgebaut werden, die "neben verkehrlichen und sonstigen kommerziellen Funktionen auch ein Leistungsangebot im kommunikativen und kulturellen Bereich bieten" (Strategiepapier der DB AG). Die Mutation der Bahnhöfe zu Shopping Malls wird mit Hilfe von Betreibern großer Einkaufszentren wie der ECE-Projektmanagement GmbH vorangetrieben, die auch die Potsdamer Platz Arkaden vermarktet. Als Kundschaft wünschen sich die Bahnbetreiber eine sogenannte "attraktive Öffentlichkeit", die an die neuen "Wohlfühl"-Bahnhöfe durch eine "qualitätvolle corporate identity" angebunden wird: In den Pilotbahnhöfen Frankfurt/M. und Leipzig führt die Bahn neben Gepäckmännern in Uniform und schlechtbezahlten Putzkolonnen wieder Wartesäle erster und zweiter Klasse ein.

Dieses Aufwertungsbestreben stützt sich auf das sogenannte 3-S-Konzept ("Service, Sicherheit, Sauberkeit"), in das in den nächsten Jahren drei Milliarden Mark investiert werden sollen. Dessen Herzstück sind stationäre 3-S-Zentralen, von denen aus die Nutzung des Bahnhofs per Videokamera überwacht und gesteuert wird. Verstöße gegen die Hausordnung der "Wohlanständigen" (DB AG-Broschüre "Marke Bahnhof") werden durch Hausverbote und Platzverweise geahndet. Allein 224000 Platz- und Hausverweise auf Berliner Bahnhöfen im letzten Jahr deuten auf eine gezielte Vertreibung spezieller Gruppen, denen die Nutzung der Bahnhöfe und ihrer Umgebung strittig gemacht werden soll. In gewisser Weise versucht das 3-S-System, die Konformitäts- und Kontrollstandards von Disney-Parks zu kopieren.

Das "Tor zum Zug und zur Stadt" benötige laut Bahnhofs-Manager Christian Steguweit "identitätssteigernde Nutzung", mit dem sich Bahnreisende identifizieren könnten. Die durch Privateigentum legitimierte Indoor-Praxis - wenn etwa das Bahnhofsmanagement in den als vormals öffentlich empfundenen Orten immer aggressiver ihr Hausrecht geltend macht - gilt nun auch für den Outdoor-Bereich. Etwa die Hälfte der Bahnhofsvorplätze befinden sich bereits im Besitz der Bahn. Vereinheitlichung des Erscheinungsbildes, räumliche Beaufsichtigung und privates Management - so wie man es in Flughäfen und Passagen, Kaufhäusern, Malls und Freizeitparks kennengelernt hat - werden auf Bahnhöfe und deren Umfeld übertragen und somit von "privaten" zunehmend auch auf "öffentliche" Bereiche wie Fußgängerzonen oder Plätze übertragen. Entgegen der Behauptung der Bahn AG, "urbane Marktplätze" schaffen zu wollen, geht es hierbei um die Durchsetzung von Normen, die eher für Vorstadtidyllen typisch sind: keine Drogen, keine Obdachlosen, keine Unordnung. Dabei kann sie sich durchaus auch auf die Zustimmung der Bevölkerungsmehrheit stützen, mit deren subjektivem Sicherheitsgefühl die 3-S-Politik auch legitmiert wird.

Bahnhöfe und deren Vorplätze sind notwendige Rückzugsräume für ausgegrenzte Gruppen und geraten so verstärkt ins Fadenkreuz von umfassenden Überwachungs- und Ausgrenzungsstrategien. Durch die verschärfte Kontrolle wird insbesondere auch die Bewegungsfreiheit von illegalisierten Menschen weiter eingegrenzt. Dies paßt nahtlos in die von Innenminister Kanther ins Leben gerufene "Aktion Sicherheitsnetz", bei der Bundesgrenzschutz, lokale Polizei, öffentlicher Nahverkehr und privatwirtschaftliche Security Hand in Hand arbeiten.

Die Zurichtung der Bahnhöfe als ausgrenzende städtische Räume baut auf eine Sicherheitskoalition nationaler, städtischer und privatwirtschaftlicher Akteure. Ihre Service-, Sicherheits- und Sauberkeitspolitik bekommt zunehmend Vorbildcharakter für eine revanchistische Politik der Städte. Mit dem Geschmacksterror einer gesetzmäßigen Ästhetik ("Aktionsprogramm Sauberes Berlin", "Aktion Saubere Bahnhöfe") wird abweichendes Verhalten bestraft. Dabei zementiert die Privatisierung und Überwachung der Bahnhöfe die gesellschaftliche Spaltung: An die Stelle einer sozialen tritt die innere Sicherheit.

Dieser Text ist von verschiedenen Beteiligten der Innen!Stadt!Aktion! 98 verfaßt

Als Folge des Diskussionsprozesses nach der Innen!Stadt!Aktion 97 haben die daran Beteiligten sowohl in Berlin als auch überregional beschlossen, weiterhin Widerstand und Protest gegen die zunehmende Ausgrenzung bestimmter

Personengruppen aus dem städtischen Raum, die Privatisierung vormals öffentlicher Orte und den grassierenden Sicherheitswahn zu leisten. So wurde Ende Februar bei einem überregionalen Treffen entschieden, vom 2. bis 7. Juni 98 eine weitere Innen!Stadt!Aktionswoche durchzuführen. Der Rahmen wird der vergangenen Aktionswoche entsprechen, d.h. es ist geplant, eine Woche lang in den jeweiligen Städten zeitgleich Aktionen durchzuführen. Besondere Aufmerksamkeit soll dabei den Bahnhöfen gewidmet werden, die zur Zeit in fast jeder großen deutschen Stadt Brennpunkte von Umwandlungen und Kontrollstrategien sind. Durch das gemeinsame Schwerpunktthema wird der überregionale Zusammenhang deutlich gemacht, die Aktionen selbst werden wieder lokal organisiert. Wir hoffen auf eine zahlreiche Beteiligung!

Kontakt: (030) 2859757 schroeder@berlin.snafu.de

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