Ausgabe 10 - 1998 | berliner stadtzeitung scheinschlag |
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"Wochenklausur"- was bleibt?Die Wiener Künstlergruppe "Wochenklausur" hatte seit Anfang März auf Einladung des Kunstamtes Kreuzberg versucht, neue kreative Ansätze zur Lösung des Arbeitslosenproblems in Kreuzberg zu entwickeln (s. Scheinschlag 8/98). Mit einer Reihe von Veranstaltungen wandten sich die Künstler in den letzten Wochen an die Öffentlichkeit. Worin liegt die Zukunft der Arbeit? Etwa 70 Personen vorwiegend jüngeren und mittleren Alters fanden sich am 6. Mai zu einer Podiumsdiskussion der "Wochenklausur" über "Die Zukunft der Arbeit" im Kunstamt Kreuzberg am Mariannenplatz ein. Was animierte dazu, fast drei Stunden einer Diskussion zu folgen, zu der, wie man meinen könnte, nichts Neues mehr zu sagen ist? Mich jedenfalls beeindruckte die ungewohnte Ehrlichkeit im Umgang mit dem Thema, die manchmal fast in Sarkasmus überging. Auf dem Podium saßen Prof. Peter Grottian, Dr. Karl Birkhölzer von der Arbeitsloseninitiative "Paula" und Vertreter verschiedener Presseorgane. Grottian stellte seine Visionen einer bürgergesellschaftlichen, solidarischen Zukunft der Arbeit vor, etwa den Vorschlag: "vier Steuerbürger schaffen einen Arbeitsplatz für einen fünften". Alles recht sympathisch, einleuchtend, aber vorläufig offenbar ohne Durchsetzungschance. Grottian selbst beklagte, in den Programmen der Parteien gebe es hierzu einfach "Fehlanzeige"! Er setze auf Druck von unten, die Arbeitslosenproteste. Ganz auf dieser Linie stellte auch Dr. Karl Birkhölzer von der Arbeitsloseninitiative "Paula" die Utopie einer Wirtschaft vor, die auf Kooperation statt auf Konkurrenz beruhe: "Wir können diese ganze Existenzgründerscheiße nicht weitermachen, alle verkaufen ´ne Wurst, und das gegeneinander!" Bürgerbanken sollten für kleine Projekte zinslose Kredite "als Form nachbarschaftlicher Freundlichkeit" bereitstellen. Prostitution Solche Zukunftsidyllen reizten Helmut Höge von der taz offenbar, einen knalligen Kontrapunkt zu setzen: die Zukunft der Arbeit? Die sehe er vor allem in Kriminalität und Prostitution. Dieser Trend zeichne sich immer stärker ab. Er wisse von russischen Prostituierten in Berlin, die sich durch Sprachkurse eine andere Existenz aufzubauen versuchten, aber die 480 DM Krankenversicherung, die sie als "Selbständige" zahlen müßten, hingen ihnen dabei wie ein Klotz am Bein. Wenn es überhaupt eine Möglichkeit gebe, in dieser Entwicklung positiv zu intervenieren, dann solle man ihnen den Weg in die Künstlersozialversicherung ebnen (die KSV bietet freischaffenden Künstlern und Journalisten eine Sozialversicherung zu Arbeitnehmerkonditionen an, H.W.) Der Einwurf von Elke Heitmüller vom "Freitag", heutige Lohnarbeit sei überhaupt mehr oder weniger Prostitution, trug auch nicht zu einer optimistischeren Sicht der Dinge bei. Auch von den Arbeitslosenprotesten, so Höge, dürfe man sich nicht zuviel erwarten, 5000 Arbeitslose ließen sich organisieren, aber nicht 5 Millionen. Vor allem dürfe man die Arbeitsloseninitiativen nicht idealisieren, "in diesen Projekten helfen die Leute sich zuerst selber", schaffen sich dort Arbeitsplätze. Auch er als Journalist nehme sich da gar nicht aus: "Egal ob ich bei einer Demo verhaftet werde, es kommt immer ein Text für 150 Mark bei raus!" Häuser besetzen Aus dem Publikum meldete sich ein Herr zu Wort und regte an, "daß das Hausbesetzen doch wieder erlaubt würde!" So könnten Arbeitslose sich Wohnraum schaffen und die Arbeitslosigkeit eine zeitlang durch Instandsetzung sinnvoll überbrücken. Allgemeine Heiterkeit zeigte an, daß man diesem Vorschlag keine allzugroßen Realisierungschancen einräumte. Etwas "hausbackener" vielleicht die Strategien einer Akademikerin: die Renovierung eines maroden Bauernhauses, vor Jahren ganz bürgerlich erworben, soll ihr über das "schwarze Loch" der Erwerbslosigkeit hinweghelfen. Aber auch das ist nicht ohne Probleme, denn wenn sie Sozialhilfe beantragen muß, muß sie das Haus verkaufen: "Die Zukunftsangst macht dich psychisch fertig!" Ähnlich kritisierte auch Elke Heitmüller vom "Freitag", daß die gegenwärtige Arbeits- und Sozialpolitik eher dazu diene, Kreativität einzudämmen. So müßten besonders Sozialhilfeempfänger umfangreiche Bewerbungsaktivitäten nachweisen, dies sei in der heutigen Situation eine sinnlose Vergeudung psychischer Energien. Eine recht originelle Initiative will die Friedrichshainer Erwerbsloseninitiative "Die Hängematten" starten: in den Schulen soll über Erwerbslosigkeit und die Möglichkeiten, damit umzugehen, informiert werden. Es sei doch schließlich Aufgabe der Schule, auf das Leben vorzubereiten, und das Leben, das sei heute für viele nun einmal die Arbeitslosigkeit. Die zuständigen Behörden hätten sich leider bisher noch völlig ablehnend dieser Idee gegenüber gezeigt, man komme in die Schulen einfach nicht rein. Schade, das wäre doch wirklich mal eine "innovative Idee" gewesen! Harald Wernicke Nach der "Wochenklausur":
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