Ausgabe 08 - 1998berliner stadtzeitung
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Die BVV Kreuzberg beschließt die Einrichtung von Fixerstuben

Kinder, die in der Nähe von Drogenszenen leben, müssen schon sehr früh lernen, mit gewissen Gegenständen nicht zu spielen. Die Rede ist von gebrauchten Spritzen, die in Treppenhäusern, Parks und auf Kinderspielplätzen herumliegen und in denen sich fast immer Blutreste befinden. Viel zu oft räumen die Süchtigen ihre Utensilien nach Gebrauch nicht weg - die Gefahr, sich an den blutigen Nadeln mit HIV oder Hepatitis anzustecken, ist groß, besonders für neugierige Kinder. Dieses Problem zu entschärfen ist ein Grund, weshalb die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Kreuzberg auf ihrer letzten Sitzung die Einrichtung von sogenannten "Druckräumen" beschloß. Druckräume sind Orte, an denen sich Fixer unter ärztlicher Aufsicht ihren Schuß setzen können, frisches Spritzbesteck und auf Wunsch ärztliche oder psychologische Beratung bekommen. Das Modell ist seit einiger Zeit in Städten mit großen Drogenszenen etabliert: in Frankfurt oder Zürich z.B. Dort erreichten die Szenen Ausmaße, an die die Berliner Verhältnisse nicht heranreichen. Hunderte von Fixern kamen auf einem Platz zusammen, um zu handeln und zu konsumieren, Nichtsüchtige hatten dort nichts zu suchen. Das Drogenproblem wurde zu offensichtlich und zu tourismusfeindlich: die Polizei löste die Szene auf und das Dilemma verschärfte sich zunächst. Die Junkies wichen auf Nebenstraßen und Hinterhöfe aus und kamen mit ihrem Elend der Bevölkerung näher als gewünscht.

Ballungszentren wie in Zürich und Frankfurt sind in Berlin nicht vorhanden, hier verteilen sich die Süchtigen schon seit jeher über die ganze Stadt. Kottbusser Tor, Kurfürstenstraße, Bahnhof Zoo, Bülowstraße und Tiergarten sind die bekanntesten Plätze. Gerade in der Umgebung dieser Treffpunkte sind die Anwohner besonders belastet. Da es außer einigen Spritzenautomaten und dem Bus des Drogenhilfe-Projekts "Fixpunkt", der die Szeneplätze ansteuert, keinerlei andere suchtbegleitende Maßnahmen gibt, wird in der Öffentlichkeit konsumiert. Im Bezirk Schöneberg ist eine ABM-Gruppe nur damit beschäftigt, die Parks und Grünflächen von gebrauchten Spritzen zu reinigen. Hilfe tut also not, nach der Abgabe von Ersatzdrogen ist der Beschluß der BVV Kreuzberg zur Einrichtung von Fixerstuben eine logische Antwort.

Bei der Senatsverwaltung für Jugend lehnt man den Kreuzberger Vorschlag ab. Es heißt, die Druckräume würden eine bis dato nicht gegebene Konzentration der Szene nach sich ziehen, was bei der Einrichtung eines einzigen Druckraumes auch der Fall wäre. Daher ist der Beschluß der BVV an die Bedingung geknüpft, in Kreuzberg das Projekt nur dann zu verwirklichen, wenn andere Bezirke nachziehen. Die Jugendstadträtinnen von Schöneberg und Tiergarten haben sich bereits für die Druckräume ausgesprochen. Schönebergs Stadträtin Ulrike Herpich-Behrens sieht außer dem Vorteil für die Bewohner auch den für die Süchtigen - durch die Druckräume sei nicht nur das Problem der herumliegenden Spritzen zu lösen, auch die Infektionsgefahr durch gemeinsamen Gebrauch von Drogen-Besteck kann dort eingedämmt werden. "Durch die Druckräume akzeptiert man die Süchtigen auch als Menschen, die sich dann nicht mehr verstecken müssen," fügt Tiergartens Jugendstadträtin Elisa Rodé hinzu. Sie rechnet mit Zustimmung aus der Bevölkerung, komplett ablehnende Haltungen nach dem Motto "Weg mit Junkies und Prostitution" sind ihrer Meinung nach eine kleine Minderheit. Beide Stadträtinnen sprechen sich für ein betreutes Modell aus, das heißt, den Süchtigen soll außer den Räumlichkeiten und dem Spritzbesteck auch medizinische und pychologische Betreuung zukommen. Außerdem sollen etablierte Drogenhilfeprojekte in die Planungen, wie die Druckräume im einzelnen aussehen und zu betreiben sind, miteinbezogen werden. Ein Problem wird die Finanzierung der Druckräume sein, hier müßte die Senatsverwaltung Mittel bereit stellen, meint Rodé.

Die steht dem Projekt jedoch ablehnend gegenüber, außer der befürchteten Konzentration der Drogenszene halten sie die Räume generell für keine suchtbegleitende Maßnahme. "Die Süchtigen werden unsichtbar - das Problem wird nicht gelöst, wenn man es unsichtbar macht." Andererseits aber werden Süchtige von Bahnhöfen und öffentlichen Plätzen vertrieben. Beim Senat setzt man mehr auf Ausstiegsangebote denn auf suchtbegleitende Maßnahmen, Wohnungs- und Arbeitssuche sollen unterstützt werden. "Wenn ein Süchtiger eine Wohnung hat, wird er kaum woanders konsumieren", heißt es da ziemlich sachfremd. Außerdem geht man beim Senat nur von unbetreuten Räumen aus. Dann machen die Druckräume wirklich wenig Sinn und sind das, was die Senatsverwaltung ihnen vorwirft: konsumstützende Maßnahmen. Dabei tritt ein alter und fataler Fehler der deutschen Drogenpolitik zutage: jegliche suchtbegleitende und lebenserleichternde Maßnahme wird sofort als Drogenvergehen des Staates gewertet. Die Berührungsängste sind so hoch, daß der Versuch, die Erkrankten dort zu erreichen, wo sie sich aufhalten, gar nicht erst gemacht wird. Ins Elend selbst, auf die Straße, zu den primären Bedürfnissen der Süchtigen steigt kein Vertreter der alten Drogenpolitik herab.

Marcel Ebner

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