Ausgabe 08 - 1998berliner stadtzeitung
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Auch Eduard sagt Ja zur Platte!

Zur Rezeption der Plattenbauten (Teil 2)

Mitte April titelte die Berliner Zeitung "Ja zur Platte, nein zum Palast" und beruhigte ihre Marzahner und Hellersdorfer Leser mit der Überschrift "Bundesbauminister lehnt Abriß von Plattenbauten ab". Der Töpfer-Nachfolger Eduard Oswald (CSU) hatte ohne Dienstwagen, dafür mit Straßenbahn, Ehefrau Gisela sowie heldenhaft-entschlossenem Gesicht Marzahn besucht und - wohl auch besänftigt durch die zufällige Bekanntschaft mit zwei jugendlichen Bayern-München-Fans - versöhnliche Worte gefunden: "Die Plattenbausiedlungen sind die Heimat vieler Bürger. Diese Heimat soll ihnen erhalten bleiben."

Zugegeben: Ganz überraschend war weder die Nachricht zur Platte noch die zum Palast der Republik. Der Töpfer-Nachfolger würde wohl kaum so meschugge sein, nach den bisher getätigten umfangreichen Investitionen (ca.3 Mrd. Mark flossen bislang in die Berliner Großsiedlungen) einmal mehr die alte Abrißdebatte aufzuwärmen. Und das mit dem Palast hätte man sich schließlich auch denken können.

Tatsächlich widmete man den Plattenbausiedlungen im Ostteil nach den ersten Abrißphantasien durchaus Aufmerksamkeit und Mühe. Ein Forschungsprogramm für Experimentellen Wohnungs- und Städtebau (ExWoSt) wurde aufgelegt, aus diversen Förderprogrammen flossen Mittel in die Weiterentwicklung der Gebiete. Bei der Wohnumfeldgestaltung fast zuviel, fand der Ostberliner Stadtsoziologe Bernd Hunger, dessen Büro die Sanierung in Hellersdorf, aber auch in Brandenburger Siedlungen begleitet: manchmal wäre weniger mehr gewesen - zum Beispiel mehr Aufforderung und Spielraum für die Eigeninitiative der Bewohner.

Doch bei aller Vernunft, die sich schließlich durchsetzte (immerhin wohnen ca. 60% der Ostberliner in der Platte), und auch wenn die Vorurteile ˆ la Ghetto durch soziologische Untersuchungen, Bewohnerumfragen und sachliche Problemanalyse widerlegt wurden - etwas Unfrohes schwang trotzdem in den Debatten mit. Bernd Hunger beschreibt diese Diskrepanz so: "Die Stadt hat, was die Plattenbauten betrifft, in den letzten Jahren das absolut Richtige getan: Sie hat dort investiert, wie vorher auch in das Märkische Viertel. Die Gebiete wurden gehalten, der soziale Frieden blieb gewahrt. Die Kriminalitätsrate von Hellersdorf liegt unterhalb des Stadtdurchschnittes. Ich habe deshalb nie verstanden, warum der damalige Bausenator so ein kluges Bauprogramm für die Plattensiedlungen nicht in seiner Wahlpolitik benutzte. Das war doch ein sozialpolitischer Erfolg. Aber da sie in Wirklichkeit die Platten doch nicht leiden konnten, haben sie das überhaupt nicht genutzt."

"Wer Plattenbauten für Verirrungen hält, sollte die Finger davon lassen."

Zwar konnte man den Bestand aus pragmatischen Gründen hinnehmen, schwerer schien es jedoch, ihm seine ästhetischen, architektonischen und städtebaulichen Eigenarten zuzugestehen und zu akzeptieren. Augenfällig wurde das zuallererst bei den Fassadensanierungen, auch und gerade im Innenstadtbereich. Das krasseste Beispiel dafür sind wohl die Riegel auf der Nordseite der Leipziger Straße: dort schaffte man es, einige der Wohngebäude fast vollkommen ihrer ursprünglichen, durch Balkone aufgelockerten Gestalt zu berauben und mittels einer massiven, blaugrauen geschlossenen Fassade die drückende Anmutung eines jener inflationären Nachwendebürobauten zu verpassen. Bonjour Tristesse - nun hatte man tatsächlich, was immer unterstellt worden war.

Andere "Platten", denen zwecks Wärmedämmung ein neues Kleid übergehängt wurde, sind kaum mehr als solche identifizierbar: die ursprüngliche Gliederung des Körpers durch Platten und Fugen verschwand unter dem Mantel, und die typischen Proportionen gerieten aus dem Leim: Wenn auch neu (und meist zu grell) geschminkt, standen sie fortan irgendwie plump in der Gegend herum, so daß mißtrauische Gemüter argwöhnten, die Sanierung solle der Platte gar den letzten Todesstoß geben: nämlich sie so unmöglich machen, daß man angesichts der Ergebnisse dann doch lieber für den Abriß plädiert.

Der Architekturkritiker und FAZ-Redakteur Dieter Bartetzko kritisierte die Sanierung eines Hochhauses in Friedrichshain, das nun grün-beige-weiß-kariert wie eine Couch-Garnitur für das gemütliche Wohnzimmer stehe, neben dem die noch unsanierten Hochhäuser trotz angegrauter Wände "kühn, scharf und großstädtisch" wirkten, und empfahl kühl und unverblümt: "Wer Trabantenstädte, Hochhaus- und Zeilenbauserien nicht mag und Plattenbauten für Verirrrungen hält, sollte die Finger von ihnen lassen. Denn das ist es, was viele der Sanierungs-und Verschönerungsversuche in den Plattenbausiedlungen so banal erscheinen läßt: daß alles unternommen wird, den ursprünglichen Charakter, die Grundeigenschaften der Serie und den Typus zu leugnen. Das Umgekehrte ist vonnöten."

Gleiches wird im Umgang mit der städtebaulichen Struktur sichtbar - und übrigens nicht nur im Ostteil. Bis Mitte April waren im U-Bahnhof Hansaplatz die Entwürfe dreier Architekten zum Umbau des Hansaviertels ausgestellt. In Anlehnung an den historischen Stadtgrundriß wurde die alte Blockbebauung wieder hochgeholt, indem an die bestehenden Hochhäuser neue, halb so hohe Gebäude angebaut wurden. Ulf Meyer wies in der Berliner Zeitung darauf hin, daß die Hochhäuser schließlich nicht über Brandwände verfügen, an die sich überhaupt nur anbauen ließe, und die Denkmalpflege seufzte angesichts der Entwürfe nur, es sei zu hoffen, daß nicht ein einziges Gebäude realisiert wird.

Doch offensichtlich sitzen die ausgegebenen Parolen "historischer Grundriß" und "Blockrandschließung" so tief, daß sie inzwischen für jede bauliche Struktur als Allheilmittel herhalten müssen. Und auch wenn Hellersdorf noch von Glück reden kann, weil es gar keinen historischen Stadtgrundriß gibt, auf den man sich dort berufen könnte, so scheinen doch die offenen Strukturen manches Planerherz geradezu frohlocken zu lassen: so viele offene Ecken, die man "schließen", also zubauen kann!

Kreuzberg in Marzahn?

Kontrovers diskutiert wurde der Umgang mit den Großsiedlungen am Beispiel der Hofgestaltungen. Doch allzusehr, fand nicht nur der Publizist Thies Schröder, hätten die Erfahrungen der Westberliner IBA und das Leitbild der kleinteilig verdichteten, parzellierten Stadt die Realitäten und Potentiale der Großsiedlungen verdrängt. Zu wenig berücksichtigt wurde offenbar, daß die "Höfe" der Großsiedlungen - großzügige Innenbereiche der Quartiere - ganz anders in ihrer Funktion angelegt waren als die klassischen Berliner Hinterhöfe, und teilweise auch infrastrukturelle Einrichtungen beherbergten: Kindergärten zum Beispiel.

Gerade umgestaltete Höfe, so Schröder, sähen aber aus wie ihre Kreuzberger Vorbilder - nur auf ein Vielfaches aufgeblasen. Als ginge es darum, die Großsiedlungen doch ein wenig gemütlicher, niedlicher zu machen - ob mit Pflanzkübelchen, aufgemalten Giebelchen oder backsteinimitierender Fassadenmalerei. Aber "Gemütlichkeit war es gerade nicht, was dem öffentlichen Raum in den Großsiedlungen fehlt. Vielmehr geht es darum, die moderne Identität der Freiflächen in Dimension und Gestaltung aufzugreifen und diese so zu einer besonderen Identität Marzahns weiterzuentwickeln."Die Hofräume, so Schröder, sollten nicht weiter verniedlicht, sondern als Freiräume ernstgenommen werden.

Ähnlich verhält es sich mit einem der dringlichsten Probleme in den Großsiedlungen: der Infrastruktur. Auch hier wird man nach maßgeschneiderten (und angesichts der Finanzknappheit auch phantasievoll improvisierten) Lösungen suchen müssen, statt Patentrezepte zu zitieren. Gerade die jüngeren Siedlungen waren meist spartanisch mit dem Nötigsten ausgestattet: In den Zentren Kaufhalle, Dienstleistungswürfel mit Friseur, Post, Jugendklub und Zeitungskiosk, Freßwürfel. Außerdem Schulen und Kitas, vielleicht eine Schwimmhalle, Bibliothek, ein paar Geschäfte.

Nach der Wende schlossen viele der Jugendclubs. Die "Freßwürfel", offiziell Mehrzweckgaststätten genannt, wurden - weil sie nicht ausschließlich sozialen Zwecken dienten - nicht dem Kommunalvermögen zugeordnet, sondern von der Treuhand verwaltet und zum Verkauf angeboten, was den Kommunen den Zugriff erschwerte. Daraus resultieren derzeit ganz unterschiedliche Situationen: Manche rotten ungenutzt vor sich hin, andere werden kommerziell genutzt. Nur selten kommt es vor, daß sie den Bewohnern für soziale und kulturelle Zwecke zur Verfügung stehen. Im Neubauviertel Greifswalder Straße beispielsweise wurde aus dem Flachbau ein soziokultureller Veranstaltungsort und Treffpunkt für die Anwohner.

Die Nutzungen werden in den unterschiedlichen Quartieren auch flexibel auf die spezifischen Veränderungen, z.B. der Altersstruktur reagieren müssen. Wie also kann man beispielsweise in Marzahn nun "überzählige" Kitas anders nutzen? Stadtsoziologe Bernd Hunger setzt beim Thema Infrastruktur besonders auf Gemeinwesenarbeit. Schließlich gehe es nicht um "Beglückungskonzepte" für die Bewohner, sondern um die Gestaltung von Entwicklungsprozessen mit den Bewohnern.

ulrike steglich

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