Ausgabe 05 - 1998berliner stadtzeitung
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Bundesrepublik Evers

Manchmal sitze ich zuhause und denke: "Horst, du mußt zuversichtlicher werden!" Ja, Zuversicht wär schon toll. Zu oft sitze ich rum und sage Sätze wie: "Die fetten Jahre sind vorbei. Die Klimakatastrophe ist nicht mehr aufzuhalten." Oder: "Wir werden alle sterben." Das ist nicht sehr kommunikativ. Erst recht nicht, wenn mir mein Gegenüber gerade gesagt hat, was für ein wunderschöner Tag heute doch sei, oder daß er frisch verliebt ist. "Ach, sie ist so wunderbar, ich könnte zerspringen vor Glück.""Ja, aber die Staatsverschuldung wird uns über kurz oder lang alle erdrücken." Sowas hört keiner gern. Er wollte natürlich etwas hören wie: "Ich bin sicher, wir werden die Richtlinien für den Euro schaffen." Nach so einer Antwort geht man doch ganz anders an die Familienplanung ran. Aber ich bin einfach nicht zuversichtlich genug. Dabei geht´s mir doch gar nicht so schlecht. Verglichen mit der Bundesrepublik zum Beispiel. Die hat rund zwei Billionen Mark Schulden. Da ist mein Deckel in der Kneipe doch´n Klacks. Aber stellt sich der Regierungssprecher vor die laufenden Kameras und sagt: "Wir werden alle sterben?" Nein. Weil er zuversichtlich ist. Diese Leute sind immer zuversichtlich. Dafür mag man sie. Also, sagte ich mir, von der Bundesrepublik lernen, heißt Zuversicht lernen. Und das machste jetzt. Du bist jetzt deine eigene Bundesrepublik. - Zwei Tage im Leben der Bundesrepublik Evers.

Montagmorgen 11.00 Uhr: Am Morgen öffentliche Stunde im Bundestag der Bundesrepublik Evers. Es geht um das wachsende Haushaltsloch und die ständig steigende Neuverschuldung. Opposition unkt, so werden wir die Richtlinien für die neue Miete nicht schaffen. Strahle Zuversicht aus. Opposition fordert Beschäftigungsprogramm. Eine permanente Arbeitslosenquote von 100% gefährde auf lange Sicht den Standort Evers. Schreibe schnell diverse ABM-Stellen aus für Abwasch, Wäsche, Staubsaugen und Fensterputzen. Der Evers-Gewerkschaftsbund und die IG Hausputz laufen sofort Sturm gegen diese Montagsarbeit. Da kann man wohl nix machen. Überlege, ob ich Feiertage abschaffen sollte. Jeder Montag als gesetzlicher Feiertag kostet mich übers Jahr gesehen bestimmt viel Geld.

13.00 Uhr: Finanzminister schlägt vor, die Kleingeldreserven höher zu bewerten und dadurch den Haushalt zu entlasten. "Wir stelln uns einfach vor, jeder Groschen wär´ ´ne Mark wert." Das ist kreative Buchführung. Der Bundesbankhorst jedoch will nix davon wissen.

14.30 Uhr: Das Außenhandelsministerium hat einen Auftrag für einen Artikel bei einer Tageszeitung reingeholt, um das Außenhandelsdefizit auszugleichen. Die Gewerkschaften protestieren gegen das geringe Zeilengeld und drohen mit Generalstreik. Die Opposition hat große Bedenken gegen Wirtschaftsbeziehungen zu einer Zeitung, die ihr Volk immer noch zu Montagsarbeit zwingt.

17.00 Uhr: Arbeitskampf. Die Gewerkschaften haben wegen des Artikelauftrages zum Generalstreik geblasen. Auch die ABM-Stellen für Abwasch, Wäsche, Staubsaugen und Fensterputzen wurden nicht besetzt. Stelle fest: Alle Räder stehen still, wenn mein starker Arm es will. Die Stimmung in der Bevölkerung ist angespannt. Versuche, das Volk mit Fernsehn abzulenken, das hilft erstmal.

18.00 Uhr: Der Finanzminister hat die Idee, den Haushalt zu entlasten, indem man die Umweltschutzprogramme einschränkt. "Wenn wir den Müll nicht mehr trennen würden, bräuchten wir nur noch einen statt vier Müllbeutel in der Küche. Das würde enorm Platz einsparen, wir könnten eine kleinere Wohnung mieten und Miete sparen. "Mißtrauensvotum gegen den Finanzminister.

19.00 Uhr: Glücksrad beginnt. Das Fernsehn verliert seine beruhigende Wirkung, die Stimmung in der Bevölkerung schlägt um und droht zu eskalieren. Die radikalen Kräfte drohen die Überhand zu gewinnen, ein Putsch liegt in der Luft. Beschließe, den Finanzminister zu entlassen, die Kasse zu plündern und einen Betriebsausflug in die Kneipe zu machen, wo ich die aufgebrachte Bevölkerung quasi mit einigen Litern Opium für´s Volk erstmal beruhige.

23.00 Uhr: Die Stimmung in der Bevölkerung hat sich erheblich gebessert. Knüpfe bilaterale Beziehungen zu befreundeten Völkern wie Marion und Carola.

2.00 Uhr: Der Bundesrepublik Evers geht es prächtig. Leichte Irritationen wegen einiger Rufe: "Wir wollen unsern alten Kaiser Wilhelm wiederhamm!"

Dienstagmorgen 11.00 Uhr: Im Körper der Bundesrepublik Evers herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände. Es brodelt. Durch den Kopf zieht drohnend eine Art Love-Parade. Mache Notiz, daß die das nächste Mal gefälligst eine andere Route zu nehmen hat. Gott sei Dank leiste ich mir meine private Pflegeversicherung. Die Packung Kopfschmerztabletten ist noch fast voll.

12.00 Uhr: Das Außenhandelsministerium meldet, daß die Tageszeitung mit Nachdruck die vereinbarte Lieferung fordert. Flehe die Bevölkerung der Bundesrepublik Evers an, endlich wieder die Arbeit aufzunehmen. Diese meldet sich krank.

12.30 Uhr: Die Schlichtungsgespräche im Arbeitskampf sind gescheitert. Die Tageszeitung droht mit Krieg. Ich fälle einen einsamen Entschluß. Mit Kaffeegewalt zwinge ich die Bundesrepublik Evers zur Produktion des Artikels. Danach dränge ich sie unter dem Vorwand von Sachzwängen zur Erledigung von Abwasch, Wäsche und Staubsaugen. Zuletzt verhänge ich strikte Spargesetze und eine allgemeine Ausgangssperre für eine Woche.

19.00 Uhr: Ein trauriger Horst Evers sitzt in seiner Küche. In nur 36 Stunden habe ich eine blühende Demokratie, die Bundesrepublik Evers in eine grausame Diktatur verwandelt. Ist das das Gesetz der Macht? Ich beschließe, gegen mich selbst zu putschen, die Ausgangssperre aufzuheben und die Nettoneuverschuldung zu erhöhen. Wenn eh schon alles ganz schrecklich wird, sollte man es sich zumindest gutgehen lassen, solange es noch irgendwie geht.

Horst Evers

Der Text erschien zuerst in der Zeitschrift "Salbader - Belehrung und Erbauung"

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