Ausgabe 05 - 1998berliner stadtzeitung
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Statt Ehrennadel: Arbeitsplatz!

Bericht an den Club of Rome zur Zukunft der Arbeit

Ein vielbeschäftigter Junggeselle stellt eine Haushälterin an und zahlt ihr einen angemessenen Lohn. Nun, wie das Leben so spielt: sie verlieben sich und heiraten! - Kein Happy End eines Kitschromans, sondern ein Gedankenexperiment: Was läuft hier volkswirtschaftlich gesehen ab? Die Haushälterin wird fortan die gleichen Arbeiten unentgeltlich verrichten. Das bedeutet, das Bruttosozialprodukt, als Ausdruck der in Jahresfrist in einer Volkswirtschaft produzierten Waren und Dienstleistungen in Geldeswert, sinkt um den entsprechenden Betrag.

Hier sind Orio Giarini und Patrick M. Liedtke, die Autoren eines kürzlich erschienenen Berichts an den Club of Rome zur Zukunft der Arbeitswelt, beim Kern ihres Themas: ergeben unsere in Geld ausgedrückten Wirtschaftsdaten wirklich ein realistisches Bild des Wohlstands? Offensichtlich wirken unentgeltlich erbrachte Dienstleistungen ja ebenfalls wohlstandssteigernd, andererseits entspricht nicht jede Erhöhung des Bruttosozialprodukts einem Mehr an Lebensqualität. Eine verschmutzte Umwelt könne den Preis von Trinkwasser und damit auch das Bruttosozialprodukt erhöhen - mehr Lebensqualität sei damit sicher nicht verbunden. Solche Beobachtungen führen die Autoren zu einer Neubewertung des Begriffs "produktive Arbeit" und zu interesssanten Vorschlägen zur Überwindung der Arbeitslosigkeit.

Produktive Arbeit ist nicht gleich Erwerbsarbeit

Es gelte, eine Verengung des Verständnisses produktiver Arbeit zu überwinden, die diese auf Erwerbsarbeit begrenze. So gebe es aufgrund des Kostendrucks im Gesundheitswesen Tendenzen, krankenpflegerische Tätigkeiten auf Angehörige zu verlagern. Diese Tätigkeiten würden dann zwar nicht bezahlt, hätten aber einen Wert, der in eine volkswirtschaftliche Leistungsbewertung mit einfließen müsse. Die Größenordnung unentgeltlich geleisteter Arbeit sei keineswegs zu vernachlässigen. Für Deutschland führen die Autoren Berechnungen des Statistischen Bundesamtes an, "daß sich das Bruttoinlandsprodukt um ein Drittel erhöhen würde, wenn man unbezahlte Arbeit in Familie, Haushalt oder Ehrenamt mit nur dem Nettostundensatz einer Hauswirtschaftlerin bewerten würde" (S. 150). Volkswirtschaftlich nötige Arbeit gebe es also genug.

Es wird deshalb eine staatliche Arbeitsplatzgarantie auf der Basis von 20 Std. wöchentlich zu einem existenzsichernden Mindesteinkommen vorgeschlagen. Die bisherigen Sozialleistungen für Arbeitslose könnten die Finanzierungsgrundlage für diese staatlich garantierte Arbeit bilden. Sie sollte allen Menschen zwischen 18 und 78 Jahren angeboten werden. Die Autoren wollen damit die höhere Lebenserwartung und Veränderungen im Altersaufbau der Bevölkerung berücksichtigen. Gleichzeitig soll diese Maßnahme einen sozialintegrativen Effekt für "von der Industriellen Revolution ausgeschlossene Menschen" haben, wozu die Autoren Alte, Jugendliche und Frauen zählen. De facto bedeutet dies eine Arbeitspflicht für alle erwerbsfähigen Personen bis ins hohe Alter hinein, jedenfalls soweit sie nicht von Kapitaleinkünften leben können. Neben dieser staatlich garantierten Beschäftigung, die etwa den Bereich abdecken soll, der in Deutschland heute der Tätigkeit von Kriegsdienstverweigerern entspricht (so die Autoren ausdrücklich!), soll es einen freien Arbeitsmarkt geben, der nach dem Muster der hochtechnisierten Dienstleistungsgesellschaft eher wenige, meist hochqualifizierte Arbeitskräfte beschäftigt. Völlig frei von Regulierungen dürfte dieser Bereich etwa dem entsprechen, was ein FDP-Politiker sich so wünscht.

Ein interessanter Diskussionsbeitrag, der seine Stärke in der volkswirtschaftlichen Neubewertung hauswirtschaftlicher und ehrenamtlicher Tätigkeiten hat. Arbeitsloseninitiativen tun sicher gut daran, aus solchen und anderen Vorschlägen realistische Utopien zu entwickeln. Denn auch phantasievolle Protestaktionen, wie sie in Berlin und anderswo entstanden sind, laufen sonst Gefahr, ergebnislos zu versanden.

Harald Wernicke

Orio Giarini/Patrick M. Liedtke: Wie wir arbeiten werden.
Der neue Bericht an den Club of Rome. Hoffmann und Campe, Hamburg 1998, 39,80 DM

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