Ausgabe 04 - 1998 | berliner stadtzeitung scheinschlag |
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Berlin 1898vom 26. Februar bis 11. MärzDie ersten heimischen Märzveilchen werden am 26. Februar in den Straßen von fliegenden Händlern verkauft. Auch Maiglöckchen und Reseden erscheinen und vertreiben die geruchlosen, italienischen Veilchen. Der Zola-Prozess in Frankreich ist das Thema am Abend des selben Tages in einer Artistenkneipe in der Elsässer Straße. Zwei Komiker einer hiesigen Spezialitätenbühne unterhalten sich bei einem Glas Bier über Zolas Verurteilung, die der eine als "Schande für ganz Frankreich" bezeichnet. Der zweite fügt hinzu, die Generäle hätten sich vor Gericht geradezu erbärmlich benommen, mit solchen Schwächlingen werde man bei einem Krieg leicht fertig werden. Daraufhin erhält er einen heftigen Schlag ins Gesicht von einem Artisten vom Nebentisch, der dem Gespräch zugehört hatte. Der Schläger ist Monsieur Durand, der in einem anderen Etablissement als musikalischer Clown auftritt. Er wird von den Gästen gepackt und hinausgeworfen, doch versucht er wieder einzudringen, zerschlägt dabei eine Glastür und verletzt sich. Der Witz dabei ist, dass Durand in Wirklichkeit Dorn heißen und aus Österreich stammen soll. Vilma Parlaghy, die Kämpferin gegen die Vivisektion schreibt an die Kaiserin Auguste Victoria ein Gedicht, dessen Schluss lautet: Der ehemalige Dorfschulze Rembo erscheint auf dem Polizeibureau. Die Uhren in dem Haus, das er bewohnt, schlügen nachts übermäßig laut, beschwert er sich. "Es darf nicht sein. Ich muss dann immer an mein Käthchen denken, wie es starb. An ihrer Todesstunde, es lag im Fieber, das Kindchen, Herr Lieutenant, plötzlich des Nachts setzte es sich im Bett auf und starrte mit weigeöffneten Augen vor sich hin. "Vater," sprach es leise, "morgen Nacht werde ich sterben, um Mitternacht. Aber auf dem Dorfkirchturm wird´s dreizehn Schläge tun!" Und in der nächsten Nacht, da ich an ihrem Lager wachte, knapp vor zwölf, da richtete sie sich wieder in ihrem Bettchen auf und horchte. Über die alljährliche Straßenbuddelei beschwert sich ein Leser des "Berliner Lokal-Anzeigers" in einem Brief. Man sei in Berlin "schon daran gewöhnt, daß eine Straße oft vier Mal hintereinander aufgerissen, zugeschüttet und gepflastert wird, und man erzählt sich, daß dies daher komme, daß die verschiedenen Zweige der städtischen und staatlichen Verwaltung (Straßenbau, Gasanstalt, Canalisation und Telegraphenbau) keine Vereinbarungen miteinander treffen. In diesem Schmutzwinter aber, in dem die Straßenreinigungs-Colonnen so wie so schon den schlüpfrigen Schlamm kaum von Asphalt und Pflaster genügend zu entfernen im Stande sind, scheint man dem Sommer Concurrenz machen zu wollen und zwar hauptsächlich in dem vom Verkehr an und für sich schon überlasteten Straßenzuge Spittelmarkt-Gertraudenstraße-Molkenmarkt-Königstraße-Alexanderplatz. Bei der Herstellung des elektrischen Straßenbahnbetriebes hat man bald zur Umlegung der Schienen auf großen Strecken, bald zur Verbindung der einzelnen Schienen unter einander, damit die Rückleitung des Stromes ohne Unterbrechung stattfindet, riesig große und kleine, zahllose Löcher in das Straßenpflaster gemacht. Nur auf dem Alexander- und Petriplatz hielt man es für nöthig, Bohlen hineinzulegen; an allen anderen Stellen, insbesondere auf dem Spittelmarkt und auf dem Köllnischen Fischmarkt schüttete man nur Erde in die Löcher. Von dem Resultat dieser allerdings nur provisorischen Arbeit müßten Sie, hochverehrter Herr Redacteur, sich eigentlich einmal selbst überzeugen. Die Pferdebahnschienen ragen handbreit hoch aus einem dünnen, braunen Schlamm hervor, und machen die Passage für die Wagen unmöglich. Der Fußgänger aber geht verzweifelt im großen Bogen um die unwegsamen Stellen herum, in denen er versinken könnte, und aus denen er durch das Hineinpatschen der Pferdebahngäule auf weite Entfernung bespritzt wird. Warum macht man bei diesem Bau nicht erst eine Stelle hinter einander wieder in Ordnung, ehe man eine zweite aufreißt?" Falko Hennig
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