Ausgabe 04 - 1998berliner stadtzeitung
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Gefährliche Demokraten

Wie vorbei ist der Zweite Weltkrieg?

Raten Sie mal, wer bald zu Besuch kommt. Nein, nicht GODZILLA - der trampelt erst im Herbst in den Kinos durch New York. Berlin droht ganz anderer Ärger: Die Bundeswehr will kommen - im Sommer und ganz in echt. So sollen am 13. August Wehrpflichtige vor dem Roten Rathaus ihr "feierliches Gelöbnis" ablegen. Der Plan: Das Verteidigungsministerium will mit dieser Publicity-Aktion vorführen, daß die Truppe in der Mitte der Gesellschaft verankert ist - und keineswegs bei den Rechtsextremen.

Nun: Müde und zaghaft wehren sich einige wenige Bundeswehr-Angehörige offen gegen neonazistische Tendenzen in ihren Reihen. Die Mehrheit in der Armee schweigt, gehorcht den Tagesbefehlen. Dabei ist absehbar, daß die Bundeswehr ihr Neonazi-Problem mit dieser Aktion genausowenig in den Griff bekommen wird, wie der jetzt laufende Untersuchungsausschuß im Bundestag. Allein schon der herzliche Empfang, den einige Abgeordnete dem Rechtsextremisten Manfred Röder bei der ersten öffentlichen Sitzung des Gremiums boten, ist in seiner Instinktlosigkeit ohne Beispiel - gefährliche Demokraten.

Einzig Innensenator und Ex-General Jörg Schönbohm wird beim Berliner Gelöbnis seine Show bekommen: Ein gigantisches Polizeiaufgebot wird den Treue-Schwur in Berlins Mitte in ein Hochsicherheits-Gelöbnis verwandeln. Die armen Wehrpflichtigen: Sie müssen sich bei der ganzen Aktion vorkommen wie seltene Tiere im Zoo. Das Ziel, die Bundeswehr in der "Mitte der Gesellschaft" zu zeigen, wird so glatt verfehlt. Krawall am Mauerbau-Tag, einen Monat vor den Bundestagswahlen - das brauchen die Rechts-Konservativen für ihren Wahlkampf.

Und da sollen Wehrpflichtige wieder einmal geloben, "der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen".

Dabei führt auch diese Spruch-Formel direkt zu den ideologischen Ursachen der Bundeswehr-Krise: Zu falschem Heldentum von heute ("Ja, Tapferkeit") genauso wie zu den Abgründen der Wehrmachts-Vergangenheit, in deren Tradition sich die Bundeswehr sieht. Zitat aus der "Schriftenreihe Innere Führung" der Bundeswehr zum Thema "Eid und feierliches Gelöbnis": "1962. Flutkatastrophe in Hamburg und im Küstengebiet der Nordsee. Soldaten der Bundeswehr erfüllen ihre Pflicht im Dienst an Volk und Staat, wie sie es geschworen und gelobt hatten - treu zu dienen. (...) Neun Soldaten der Bundeswehr gaben im Einsatz bei der Flutkatastrophe in Hamburg ihr Leben. Getreu ihrem Eid - getreu ihrem Gelöbnis." Genau dieser menschenverachtende Ungeist, der "Ehre und Treue" über das Leben stellt, war nach dem Zweiten Weltkrieg die Ausrede für die meisten Wehrmachtler, als sie 1945 vor den Trümmern ihres eigenen Kadavergehorsams standen: "Wir standen unter Eid, mußten gehorchen, hatten keine Wahl." Wenn Soldaten wie 1997 beim Hochwasser an der Oder Sandsäcke füllen, ist daran wenig auszusetzen. Nur wird dabei die Mehrheit der Soldaten nicht an Eid und Staat gedacht haben.

Drei andere Wege könnten die Bundeswehr dennoch aus der Extremismus-Krise führen. Der erste ist das Abschaffen der Wehrpflicht. Denn eine Berufsarmee kann sich mit Hilfe von Disziplinar-Strafen und Dienstverboten leichter von Neo-Nazis trennen als eine Wehrpflichtigen-Truppe, die erstmal jeden nehmen muß, der laufen und schießen kann.

Zweitens ist ein "Bildersturm" in den Kasernen überfällig, um das Kapitel Bundeswehr als Erbin der Wehrmacht zu beenden. Ein Blick zurück: Mit wenigen Saubermännern an der Spitze sollten 1956 Bundeswehrsoldaten als "Staatsbürger in Uniform" (Ex-Verteidigungsminister Theodor Blank) eine neue militärische Epoche einleiten. Tatsächlich aber bauten dann im Kalten Krieg überwiegend Ex-Wehrmachts-Soldaten die Bundes-Armee auf. Wie übrigens auch die Nationale Volksarmee der DDR. Keine Rede war mehr von den Verbrechen der Wehrmacht. Nur ein Beispiel unter vielen: So sind die Morde durch die Wehrmachtsjustiz bis heute fast völlig vergessen und ungesühnt. Dabei vollstreckte diese Justiz bis 1945 50 000 Todesurteile - mehr als Volksgerichtshof und NS-Sondergerichte zusammen!

Im Schutz dieses Schweigens konnten die erfahrenen Frontsoldaten nicht nur munter die alten Waffen pflegen (u.a. ist die Bundeswehr-Pistole "P 1" bis heute mit dem Wehrmachts-Modell identisch), sondern auch ihre "Tradition". Nicht wenige ließen sich von mäßig talentierten Malern schaurige Weltkriegs-Motive in ihre Kasernen malen - siehe das Foto, das in der Salm-Kaserne in Philippsburg (Baden-Württemberg) aufgenommen wurde. Darauf ist der NS-Adler auch ohne Hakenkreuz auf dem Schiffchen des Landsers deutlich zu erkennen. Viele Bundeswehrkasernen sind mit solchen Schlachten-Bildern ausgepinselt - wer wundert sich da noch, daß rechtsextreme Rekruten keine Hemmung haben, sich NS-Motive in den Spind zu hängen?

Drittens die "Innere Führung": Mit Grusel-Propaganda in manchen ihrer eigenen Schriften nimmt die Bundeswehr den Rechten so einige Arbeit ab. So nutzt die Bundeswehr in einem Heft zum Thema "Durchstehen nach dem Kampf" die "Erfahrungen" deutscher Soldaten in russischer Gefangenschaft während des Zweiten Weltkrieges: "Ein typisches Urteil war, daß der´Russe´ unberechenbar sei. Viele der ehemaligen Kriegsgefangenen berichteten von den ´Widersprüchen´, die sie nicht zu deuten wußten. Solche ´Widersprüche´ waren für sie: Hilfsbereitschaft und Haß, Gutmütigkeit und Grausamkeit, strenge Disziplin und Schlendrian, Empfindsamkeit und Gefühllosigkeit, Nationalstolz und Minderwertigkeitskomplexe, Improvisationstalent und Neigung zu bürokratischem Formalismus, Prüderie und Obszönität. Was die kriegsgefangenen Deutschen besonders verwirrte, war die Tatsache, daß sie diese einander widersprechenden Eigenschaften in ein und derselben Person zu erkennen glaubten." Wenig überraschend, daß bei solcher Feindbildpflege auch mal Ausländer und Andersdenkende das Ziel rechter Rekruten-Gewalt werden.

New York, New York - du hast es gut: GODZILLA, dein Gespenst der Vergangenheit, war leicht zu besiegen.

tvh

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