Ausgabe 03 - 1998berliner stadtzeitung
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FilmStadt Berlin

Zwischen Filmförderung, Berlinale und Anpassung

Stellen Sie sich vor, "Die Apothekerin II" startet morgen und keiner geht hin. Zu schön, um wahr zu sein. Warum? Erstens mangelt es dem deutschen Film an echten Alternativen - oder wollen Sie etwa einwerfen, Vilsmaiers "Comedian Harmonists" sei eine? Oder gar Tykwers "Winterschläfer"? Als rühmliche Ausnahme könnte man bestenfalls Wolfgang Beckers "Leben ist eine Baustelle" gelten lassen. Zweitens ißt das Publikum nur das, womit man es anfüttert. Eine Erziehungsfrage, gewissermaßen. Der Jammer um den deutschen Film reicht weit zurück. Faßbinder gibt es nicht mehr, Wenders und Schlöndorff (dessen "Palmetto" startet demnächst in den USA) eigentlich auch nicht. Schlöndorff mahnte jüngst Studenten der dffb: "Hängt die Latte hoch, das Leben bringt euch die Anpassung früh genug bei." Wobei wir beim Thema des 20. "Kultursalon" der Abgeordnetenfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen wären. Dieser fand am 29.1. im Roten Salon unter dem Motto "Filme fördern in Berlin" statt. Den Film vertraten dffb-Direktor Reinhard Hauff und Regisseur/Produzent Wolfgang Becker, das Establishment wurde von Petra Hartfeil, Filmboard Berlin-Brandenburg GmbH, und dem Medienbeauftragten des Berliner Senats, Michael-Andreas Butz repräsentiert.

Streitkultur gehört nicht zu den deutschen (Film)Traditionen

Woran nun liegt der seit Jahren andauernde qualitative Verfall des deutschen Films bei gleichzeitigem Kassenerfolg der "Münchner Klamotten" (Becker)? Am Mangel an guten Drehbüchern und nicht zuletzt an der fehlenden Reibung der Autoren und Regisseure an der Realität, meinen die Filmer. Streitkultur gehört nicht zu den deutschen (Film-) Traditionen, ein Bekenntnis zur arbeitenden bzw. arbeitslosen Basis dieser Gesellschaft ebensowenig. Die Briten und Franzosen haben uns da einiges voraus. Diesen Mangel negieren die Instanzenvertreter vollständig. Die Kritik des Herrn Butz richtet sich eher an die "mangelnde Simplifizierung" deutscher Filmdramaturgie. Nach dieser Äußerung geriet der Talk zur Farce und Abgründe zwischen zwei völlig divergierenden geistigen Welten traten zutage. Wolfgang Becker: "Es ist völlig illusorisch zu glauben, daß Deutschland sich "Global Players" (Filme, die mit einem PR-Etat von 20-30% des Gesamtbudgets und von den überall im Ausland ansässigen Filialen der Produktionsfirmen mit mehreren hundert Kopien gestartet werden - d.A.) je wird leisten können". Viel wichtiger sei es, eigene Stoffe in eine eigene Filmsprache umzusetzen. Gegen die Forderung des Filmboard, daß Filme ein Publikum finden sollen, ist natürlich nichts einzuwenden. Führt das jedoch zur Förderung von Produktionen wie "Werner - Beinhart", so sind Zweifel am Postulat des künstlerischen Anspruchs der Förderinstanz durchaus angebracht. Wo es - wie hier in Berlin/Brandenburg - keine Separierung von wirtschaftlicher und kultureller Filmförderung gibt, ist die Tendenz hin zur Marktorientierung um (fast) jeden Preis nicht aufzuhalten.

SAT 1 als finanzieller Übervater der Berlinale

Einhellig war die Meinung aller lediglich bei dem Faktum, daß Film ohne die TV-Sendeanstalten kaum noch möglich wäre. Sie durchziehen die Filmlandschaft als Auftraggeber, Mitfinanziers, Käufer und letztendlich Sponsoren großer Filmevents. Jüngstes Beispiel: SAT 1 als finanzieller Übervater der Berlinale. Apropos: Wie steht es um die Präsenz deutscher Filme bei den diesjährigen Internationalen Filmfestspielen und ihren Reibungen mit der hiesigen Realität? Abgesehen von drei Kurzfilmen sind im Wettbewerb nur zwei, eigentlich aber nur eine deutsche Produktion vertreten. George Sluizers "The Commissioner" weist lediglich zwei deutsche Komponenten auf: die Produktionsfirma und A. Mueller-Stahl, der aber immerhin einen Deutschen spielt, während man von Michael Gwisdeks "Das Mambospiel" etwas verwirrt ist ob des Themas (Schauspieler will unbedingt einen Film machen und keiner läßt ihn), Tempos (der Film rast in Andeutungen durch die ganze Filmgeschichte) und des enthaltenen Witzes. Das alles ist man von Gwisdek nicht gewohnt. Reibung? Nun ja... Festivalleiter Moritz de Hadeln hätte gern die "Comedian Harmonists" im Programm gehabt, aber der Verleih wollte eher starten... Ein Glück! Dem Ankurbeln des lahmen Exports - zwar gibt es "intern" einen Martanteil deutscher Filme von 18% für 1997 zu vermelden, aber das Ausland interessiert sich herzlich wenig für unsere (Film)Befindlichkeiten - deutscher Produktionen dient wie immer die Deutsche Reihe mit ihrer Sonderstellung im Festival. Schauen wir in die anderen Sektionen. Nahezu unvermeidlich: Brecht. Während sich Jutta Brückner ihm, seinen Frauen und dem Exil essayistisch nähert ("Bertolt Brecht - Liebe, Revolution und andere gefährliche Sachen", Internat. Forum), inszenierte Ottokar Runze den Streitbaren in "Hundert Jahre Brecht" (Panorama). Beide Filme haben schon einen Verleih und dürften demnächst im Kino zu sehen sein. Ebenfalls im Panorama plaziert wurden Herbert Achternbuschs "Neue Freiheit keine Jobs", der schon mal die Ära des Kanzlers beendet und damit für skurrile Reibungen sorgt und Romuald Karmakars Jörg-Fauser-Adaption "Das Frankfurter Kreuz". Zwei Unangepaßte in der zweiten Reihe. Was für uns als Zuschauer zum Glück keine Wertungsrichtlinie ist.

Lassen Sie sich von dem Rummel nicht abhalten, suchen Sie im Programm vor allem von Forum und Panorama, dann werden Sie einige Reibungspunkte, kleine Eruptionen und gute (auch deutsche!) Beispiele vor allem im Dokumentarbereich dafür finden, daß Popularität nicht mit Simplifizierung einhergehen muß.

Berit Wich-Heiter

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