Ausgabe 02 - 1998berliner stadtzeitung
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"Nehmen, was der Gesetzgeber zuläßt"

Bei Neuvermietungen setzt die Wohnungsbaugesellschaft Mitte grundsätzlich den juristisch maximal zulässigen Wert an

Kaum war der neue Mietspiegel Ost im Sommer letzten Jahres erschienen und zum 1. Juli die Mietpreisbindung bei Neuvermietungen ausgelaufen, begann die Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) zuzulangen. Bis dahin durften im Ostteil bei Neuvermietung nur 15% auf die vorherige Miete aufgeschlagen werden, nun galten als einziges Kriterium nur noch die im Mietspiegel verzeichneten "ortsüblichen Vergleichsmieten". Plötzlich sollte eine WBM-Wohnung, die bisher 575 DM netto kalt gekostet hatte, 988 DM kosten, zuzüglich der Betriebskosten von 213 DM. Eine Erhöhung um 72% also - dies aber ist keineswegs ein einzelner Ausreißer, sondern Verfahrensprinzip der Wohnungsbaugesellschaft Mitte. Wie eine im Bezirk tätige Mieterberatungsgesellschaft berichtet, melden sich dort verunsicherte Wohnungsbewerber, die bei der Besichtigung von WBM-verwalteten Wohnungen vor allem durch die arge Diskrepanz zwischen Vormiete und neuer Miete irritiert sind - ob das denn zulässig sei.

Grenze zur Strafbarkeit umdefiniert zum "Neuvermietungszuschlag"

Tatsächlich muten die Preise auf den ersten Blick grotesk an: Für eine zu Ost-Zeiten rekonstruierte, ansonsten aber unsanierte 70 qm-Altbauwohnung in der Gipsstraße werden 14 DM brutto kalt pro Quadratmeter gefordert, für eine kleine Plattenbauwohnung (unter 40 qm) an der Ecke Rosenthaler / Auguststraße ca. 18,-DM warm. Dabei geht die WBM offenbar davon aus, daß die oben genannten Wohnungen im Top-Zustand sind. Die Kosten kommen zustande, weil im Mietspiegel nach der Einordnung der Wohnungen (nach Gebäudealter, Lage, Größe etc.) in den entsprechenden Feldern Spannen (unterer, Mittel- und Maximalwert) verzeichnet sind. Ob sich der Vermieter nach der Einordnung der Wohnung aber am Mittel- oder Oberwert orientieren kann, müssen im Zweifelsfall die Gerichte entscheiden. Der Gesetzgeber definiert lediglich, daß Neumieten, die die "ortsübliche Vergleichsmiete" um mehr als 20% überschreiten, juristisch unzulässig sind. Diese 20% interpretiert aber die Wohnungsbaugesellschaft prompt als eine Art "Neuvermietungszuschlag" - nicht als juristisch definierte Grenze zur Strafbarkeit. Das weiß die WBM sehr gut, und wohl deshalb wurde eine offizielle Sprachregelung durchgesetzt: "Wir nehmen, was der Gesetzgeber zuläßt", sagt ein Mitarbeiter der Vermietungsabteilung. Und bei den zur Rückübertragung anstehenden Altbauten müsse man den Maximalwert sogar ausschöpfen - weil sonst die späteren Eigentümer gegen die WBM klagen würden. "Vorauseilender Gehorsam" beschreibt diese Logik wohl nur unzureichend.

Bei den eigenen Immobilien geht man ebenfalls grundsätzlich vom Maximalwert der Spanne aus - ob auf diesen aber nochmals "7, 10 oder 20%" aufgeschlagen werden, hänge von unterschiedlichen Faktoren ab. "Lage, Ausstattung ..." Das allerdings wäre eine Art "Doppelstrafe": schließlich fließen solche Faktoren schon bei der Einordnung in die Spannenwerte ein.

Daß die Forderungen hoch sind, räumt auch der WBM-Mitarbeiter ein. Was geschieht aber, wenn die Wohnungen leerstehen, weil sich zu diesen Preisen kein Mieter findet? In den WBM-eigenen Häusern, so die Antwort, gebe es unterschiedliche Möglichkeiten: entweder, den Wohnungsstandard zu heben, den Preis zu senken oder nach einer "anderen Klientel" Ausschau zu halten. In den Rückübertragungshäusern dürfte der Leerstand hingegen ganz willkommen sein - leere Häuser lassen sich einfacher weiterveräußern.

Wohnen vor Sanierung teurer als danach

Doch die hohen Mietforderungen bringen noch andere Fragen mit sich: Der Bestand der WBM ist zu einem guten Teil (alle ungeraden Hausnummern) WBS-pflichtig. Eine Voraussetzung für den Wohnberechtigunsschein ist, daß das Einkommen eine bestimmte Grenze nicht überschreitet. Welcher WBS-Inhaber kann sich so teure Wohnungen aber leisten?

Hinzu kommt, daß oben genannte Fälle sich mitten im Sanierungsgebiet befinden. Dort sind jedoch für Wohnungen nach Sanierung Mietobergrenzen festgelegt. Diese liegen zur Zeit beispielsweise für Wohnungen unter 40qm bei 7,00 DM netto kalt, bei Wohnungen zwischen 60 und 90 qm bei 4,90 DM netto kalt. So entsteht die absurde Situation, daß Altbauwohnungen vor Sanierung erheblich teurer sind, als sie nach Sanierung überhaupt sein dürfen. Dieser Widerspruch ficht die WBM allerdings nicht an - das sei das Problem des Bezirks. Der Bezirk hat dabei noch ein weiteres Problem: Er weiß nämlich nicht, wie er sanierungsbetroffenen Mietern klarmachen soll, daß die angebotene Umsetzwohnung (die WBM muß ein bestimmtes Kontingent belegungsgebundener Wohnungen z.B. für Umsetzquartiere zur Verfügung stellen) mit dem gleichen Standard wie der der zu sanierenden Wohnung erheblich teurer ist. Mehr noch: die Differenz müßte durch den Bezirk finanziert werden, was die sogenannten "Ordnungsmaßnahmemittel" - den Etat für sanierungsbegleitende Maßnahmen - erheblich schröpfen würde. Die Mietobergrenzen sollen in den nächsten Monaten neu festgelegt werden, und es könnte passieren, daß sie eher niedriger als die bisherigen ausfallen - was die Absurdität noch verstärkt.

Die Neuvermietungspraxis der Wohnungsbaugesellschaft jedenfalls präzisiert nun eine Politik, die WBM-Geschäftsführer Karl-Heinz Schmidt noch vor einem halben Jahr gegenüber der "Morgenpost" nur dezent angedeutet hatte: "Neuvermietungen könnten sogar über dem Mittelwert liegen." Wundern sollte man sich darüber nicht: schließlich benötigt die WBM nach dem Kauf der WBF und mit ihrer Konzernbildung (siehe scheinschlag 26/97) dringend Geld.

us

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