Ausgabe 02 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Die Musik ist ein Möbelstück

Zwei Festivals, eines geballt im "NY" (zwei aufeinanderfolgende Tage und dann Schluß), das andere gestretcht im Podewil (schleppt sich vom Januar bis tief hinein in den März).

Das Geballte versucht mit, dem Namen "1. Festival der Etwas Anderen Musik (Found Footage Acoustics and Electroniccycling Music)" experimentelle Musik zu einem Hybrid aufzublähen, den das Gestretchte mit der Überschrift "Freude Durch Elektronik" klein halten möchte. Wer sich von was eher angesprochen fühlt, bleibt Selbstentscheidung. Die Option zur natürlichen Schnittmenge, also bei beiden Veranstaltungen mal vorbeizuschauen, kann jedoch zu Freude durch Ausprobieren führen.

Zum Konzept: Da wo Freude durch Elektronik versprochen wird, geht es natürlich mehr um die ganze Aura der Freude: Also Bier trinken im mittelschicken Podewil-Club, quatschen und - ja, Musik muß wie ein Möbelstück sein, das sich im Raum befindet, aber nicht aufringlich ist. Was für Saties Vorstellung von gelungener Musik galt, ist für den Clubsound von heute schon beinahe zwingend. Etwas Andere Musik dagegen hat an sich selbst jede Menge Anspruch und erwartet dementsprechend mehr von einem entsprechenden Publikum. Also heißt es hier, ohne zu quatschen Bier zu trinken, unter der Auflage, dem Möbelstück alle Aufmerksamkeit zu schenken.

Zur Musik: Musik hat ja inzwischen schon beinahe zwingend elektronisch zu sein. In der Zuckerwatte-Elektronik genauso wie in der sogenannten Avantgarde, experimentellen Musik oder wie man das sonst nennen möchte. Das Prinzip Freude in der Zuckerwattenelektronik kommt durch das ganz simple Rumgefrickel mit irgendwelchen Säuselpiano-Samples, einem "groovigen" E-Bass und irgendwie "technoid" klingendem Schlagwerk zustande. Bestenfalls klingt das dann wie die Berliner Band To Rococo Rot, nämlich nach organischer Gewächshaus-Stromzufuhr und schlechtestenfalls nach einer Mischung aus jazzrockigem Durchfall nach zuviel Krautrock. In der Avantgarde (hier bitte beliebig anderen Ausdruck einsetzen) ist die Elektronik meist eher zusätzliches improvisierendes Element. Sie wird gleichberechtigtes sperriges Instrument und soll langweilig gewordenes Standbaß mit der Nase spielen oder E-Gitarre mit Kondomen bearbeiten, in den 80ern von NY-Downtown bis Berlin-Kreuzberg bis zum Erbrechen ausgereizt, ersetzen bzw. auflockern.

Zu den Projekten, Bands, MusikerInnen: Wie alles, was in letzter Zeit irgendwie Pop und Berlin ist, ist auch beim Podewil-Festival das Meiste irgendwie "Kitty Yo". Tarwatwer werden ihre Nachtfahrt-Elektronik zum besten geben, die Labelmates Laub werden ihren Drum & Trip Hop mitbringen, die Quarks wurden in der "Spex" einem Vergleich mit Laub unterzogen und Die Wohnung mit ihrem elektronischen Couch-Pop wären bestimmt gerne bei Kitty Yo unter Vertrag. Im "NY" werden sich die zwei Konzerttage dagegen zumeist um den Berliner Tonforscher Ignaz Schick anordnen. "Fuck M.....F......«s Ash" ist nicht nur eine recht eigenartige Projektbezeichnung, sondern birgt auch eigenartige Musik in sich. Weitere Projekte heißen "Puppy Love" und "Edmundo Rosa", die sich dem Stottern und Erstürmen von Maschinen widmen, sowie das Duo Schick/Neumann, in dem elektronische Attacken gegen Klavierinnenleben geritten werden.

Der Überblick:
Freude Durch Elektronik: Podewil.
Beginn jew. 21.00 Uhr; 28. Januar: Hexer, 4. Februar: Tarwater, 25. Februar: Quarks, 4. März: Die Wohnung, 18. März: Laub
1. Festival der Etwas Anderen Musik: "NY".
30. Januar: "Fuck M.....F......«s Ash"; Schick/Neumann, 31. Januar: Edmundo Rosa; Schick/Neumann

Andreas Hartmann

© scheinschlag 2000
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