Ausgabe 02 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

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o. T.

Galerien,Tankstellen und andere Kunstorte

Wenn die Empfangsdame der Galerie einen Zettel reicht, mit der Bitte anzukreuzen, wie man denn von der Galerie erfahren habe, ist wohl irgendetwas dumm gelaufen. Früher hatte die ifa-Galerie sowas nicht nötig. Kunst aus dem Osten, aus den Ländern des ehemaligen Sowjetreiches samt Dependancen, all das an einem anderen Ort, in einer Galerie, die schon von außen wie eine steingewordene Illustration ihrer Sujets wirkte, ein öder, halb provisorischer Flachbau. In der Nähe des Bahnhofs Friedrichstraße war sie prädestiniert für einen kurzen Kulturschock zwischen dem Opelhändler in dem Renommierplattenbau am anderen Ufer und den jungen Trinkern in dem unbenutzten Wartehäuschen. Schräg gegenüber der Tränenpalast. Dazu rumpelten malerisch S-Bahnen über die Brücke und die unbenutzte Freifläche vor den Gebäudeflügeln der Galerie hatte immer etwas Transitorisches, vorbei der Charme des Überganges - klare, schicke Räume in einem frischrenovierten Gebäude im zukünftigen Regierungsbezirk, schräg gegenüber der Außenstelle der Botschaft der USA. Große Bauten ringsum. Pracht. Menschenleer. Kalt. Unwirklich.

Sibirien. Kunst aus Sibirien. Novosibirsk. Das Eigenartige an der Kunst aus der Provinz ist oft, daß sie zwar häufig die Formensprache der Avantgarde der Metropolen zitiert, aber das in einer Weise tut, die an völlig schrägen Trash erinnert. Wie Jahrmarkttechno aus Ghetthoblastern. Gebrochen, erstarrt, gebannt zwischen Resignation, Hingabe, irrealen mythischen Hoffnungen lebend. Was erstaunt an den Exponaten, ist ihre offenkundige stilistische Hilflosigkeit und die von ihnen thematisierte fade Tristesse, was so ehrlicherweise in deutscher Provinz oder sonst noch europavergessenen Orten Thema sein müßte - ein Selbstporträt als Reiter auf einem sich aufbäumenden Pferd in Scherenschnitten in einer großen Papierwand. Mythischer Held. Wahrscheinlich sind die Verhältnisse so, daß es nur Resignation und Kleinmut gibt. Mythos, nicht als Hoffnung, sondern als beengendes Motiv. Anderswo ein langer erbärmlich schlecht gemalter Reigen von gemaltem Grau, wie endlose, durch nichts zu beschönigende Tristesse im Schnee. Flüssigkeiten in roten Plastikeimern und dann ein weiteres Werk, ein Mann auf einem Video, der sich mit elektronischen Geräten untersucht. Laborszene mit Holzfurnier in Dunkelbraun. Das Labor ist trist. Wahrscheinlich auch das Leben da draußen, wie die Bilder drinnen, trist, visuell zweitrangig, abgehangen und gebunden an Hoffnungen, die nie kommen. Erdboden bei Tarkowskij und verlorenes Leben bei Dylan Thomas.

So ein Grün! Moosgrün chargierend in Dunkelgraubraun als Fassadenfarbe. Glatte, konturlose Fassade mit schmalen Eckbalkonen. Auguststraße Ecke Kleine Hamburger. Penthouse aus Stahl, Kupfer und klarlackiertem Holz. Als das Haus im Bau war, verkündete ein Schild ökologisches, freifinanziertes Bauen: Tiefgarage mit Lift und keine Bodenversiegelung im Innenhof. Nun ein glatter, abweisender Kasten mit schwarzen Metallfensterrahmen im Erdgeschoß. Teure Materialwahl in absoluter Sterilität im Hausflur. Und Fenster bis zum Boden: man sieht den kleinen Innenhof. Eine peinlich rechteckig abgezirkelte Rasenfläche. Dazu eine rechteckige, gepflasterte Terrasse mit einem großen Tisch aus Naturholz, drumrum Naturholzstühle, peinlich genau aufgestellt. Gegenüber ein ocker renovierter Altbau, dazu die moosgraubraune Fassade mit den schwarzen Balkongittern. Als drittes eine riesige Brandwand. Davor sind in Reih und Glied wohl Pappeln gepflanzt, verschiedenfarbige Wertstoffcontainer aufgereiht - ein zwanghafter Reigen von Analität und geordnetem Grün.

GMZ

Auguststraße Ecke Kleine Hamburger. ifa Galerie, Neustädtische Kirchstr. 15, Kunst aus Novosibirsk, Dienstag bis Sonntag, 14-19 Uhr, bis 1. März

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  Ausgabe 02 - 1998