Ausgabe 01 - 1998berliner stadtzeitung
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Fesseln des Mietrechts loswerden

Trotz immensen Leerstandes bei Büroflächen plant der Bausenat, die Möglichkeiten der Umwandlung von Wohnraum in Gewerbeflächen für Hausbesitzer zu erleichtern. Schon jetzt gibt es aufgrund überlasteter Behörden eine hohe Dunkelziffer illegal zweckentfremdeter Wohnungen. Mieterinitiativen kritisieren, daß die geplante Änderung der Zweckentfremdungs-Verbotsverordnung nur auf Kosten einer Versorgung mit preiswertem Wohnraum gehen werde und somit spekulativen Wohnungsleerstand begünstige.

Das 1971 erlassene Mietrecht-Verbesserungsgesetz ist Grundlage zur Erlassung von Zweckentfremdungsverbots-Verordnungen: In Gebieten mit erhöhtem Wohnbedarf, so auch in Berlin, kann damit die Kommune die Umwandlung und den Leerstand unterbinden. Wird eine Umwandlung in Gewerberäume dennoch gestattet, etwa wenn der Vermieter entsprechend neue Wohnfläche schafft, muß er eine Ausgleichszahlung an die Gemeinde abführen.

Durch die momentane Entspannung auf dem Wohnungsmarkt sei Berlin, so die Meinung im Bausenat und der Koalition, nicht länger ein Gebiet mit erhöhtem Wohnbedarf. Nach Ansicht vieler Mietenpolitik-Experten wird allerdings diese Entspannung nur vorübergehend bestehen. Gerade bei preiswertem Wohnraum wird die Verknappung wieder zunehmen, immerhin fallen in nächster Zeit Tausende von Westberliner Wohnungen aus der Sozialbindung, und neuer preiswerter Wohnraum wird durch Einsparungen im sozialen Wohnungsbau nur noch geringfügig entstehen.

Verwertungsinteressen der Hauseigentümer im Vormarsch

Ungeachtet auch des Preisverfalls und Massenleerstands bei Gewerbeimmobilien, soll dennoch gerade jetzt die Zweckentfremdungsverbotsverordnung geändert werden. Die Umwandlung von Wohnraum in Gewerberaum könnte insbesondere dann erleichtert werden, "wenn Wohnraum vor allem im Erdgeschoß wegen seines baulichen Zustands, seiner Ausstattung oder seiner Verkehrslage einen den heutigen Anforderungen nicht genügenden Wohnwert hat ..." heißt es im Entwurfstext. Ausgleichszahlungen bei Umwandlung, so ist geplant, sollen stark gesenkt werden. Bislang wurde die Nutzung der Wohnung für berufliche Zwecke Wohnungsmietern nur sehr eingeschränkt gestattet. Das würde sich mit dem neuen Gesetz ebenfalls ändern. Bis zu 50% einer Wohnung könnten demnach gewerblich genutzt werden.

Ebenfalls ausgedehnt werden sollen die Fristen für genehmigten Leerstand von Wohnraum: von zur Zeit 3 auf 6 bis maximal 12 Monate. Vermieter hätten damit mehr Zeit, sich nach neuen geeigneten Mietern umzusehen.

Ein Punkt, über den sich Rainer Wild vom Berliner Mieterverein besonders ärgert: "Wenn der Markt so ist, daß Hausbesitzer ihre Wohnungen in ihren Preisvorstellungen nicht loswerden, müssen sie eben mit der Miete runtergehen. Deswegen das Gesetz zu ändern, lehnen wir ab."

Herr Pantel vom Bausenat hingegen führt an, daß die Verlängerung der Leerstandsfristen auch im Zusammenhang mit dem Altschuldenhilfegesetz steht. Danach müssen die Nachfolgeeinrichtungen der Kommunalen Wohnungsbaugesellschaften in der DDR 15% ihres Wohnungsbestandes veräußern: "Wir wollen so den Wohnungsbaugesellschaften den Druck bei ihren Privatisierungsbemühungen nehmen." Damit wird allerdings der Freiraum für spekulativen Leerstand ausgedehnt. "Der Schutz von Wohnraum", betont Pantel, "hat dennoch bei uns höchste Priorität. So kann man nicht davon sprechen, daß nun alle Erdgeschoßwohnungen in Gewerbeetagen umgewandelt werden sollen. Jeder Antrag wird gründlich geprüft."

Fremd im eigenen Haus

Das dies geschehen wird, bezweifelt allerdings Rainer Wild: "Die Behörden sind schon heute völlig überlastet. Aufgrund von Personalmangel sind sie gar nicht in der Lage, gründliche Untersuchungen anzustellen. Manche Ämter haben deshalb in ihrer Not auch schon mal ABM-Kräfte eingesetzt, um überhaupt ein wenig Überblick zu bekommen. Wir rechnen schon jetzt mit einer hohen Dunkelziffer illegal umgewandelten Wohnraums." So wie etwa in einem Mietshaus in der Utrechter Straße im Wedding. Über die Jahre wurden hier mehrere Etagen zu Büros für eine Anwalt- und Steuerberatungskanzlei umgewandelt. Davon ist nur ein Teil genehmigt. Letztes Jahr wurde daraufhin beim Bauaufsichtsamt Anzeige wegen Zweckentfremdung gestellt. Die Hauseigentümer (die auch die Anwaltskanzlei betreiben) verweisen darauf, durch einen Dachgeschossausbau Ersatzwohnraum geschaffen zu haben.

"Wir müssen nun überprüfen, ob damit ausreichend Ersatz geschaffen wurde", erklärt Herr Löffler von der Bauaufsicht Wedding. Ein schwieriges Unterfangen, denn: "Der Ersatzwohnraum muß sich nicht im gleichen Gebäude befinden, sondern kann vom Eigentümer auch andernorts, sofern es sich im Land Berlin befindet, geschaffen werden. Die Forderung, diese neuen Wohnungen zumindest im gleichen Bezirk errichten zu lassen, war leider damals, als das Zweckentfremdungsverbot aufgestellt wurde, politisch nicht durchzusetzen."

Eine Mieterin des Hauses in der Utrechter Straße mit dem für den Weddinger Kiez eher unüblichen repräsentativ-adrett gestalteten Eingangsbereich fühlt sich mittlerweile zwischen all den ein- und ausgehenden Geschäftsleuten "als Fremde im eigenen Haus, und irgendwie nur noch geduldet."

"Sicher macht es in Einzelfällen, wie etwa bei Kellerwohnungen, in die heutzutage niemand mehr einziehen würde, auch Sinn, diese zur gewerblichen Vermietung freizugeben", gibt auch Rainer Wild zu. "Doch eine generelle Lockerung des Zweckentfremdungsverbotes lehnen wir ab. Langfristig wird das nur den Wohnungsmarkt weiter belasten, während der Gewerbe-Immobilienmarkt mit seinem jetzt schon riesigen Leerstand unnötig weiter entlastet wird. Ich denke, das alles hat auch weniger was mit der momentanen wirtschaftlichen Lage zu tun, sondern da versuchen die Hauseigentümer eine weitere Fessel loszuwerden, die sie an der schrankenlosen Verwertung ihres Eigentums hindert."

Michael Philips

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