Ausgabe 01 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Blühende Medienlandschaften?

Teil 4: Der Medienclub Ost (Berlin)

Was aus der Presselandschaft Ost geworden ist und wie es um die Medienlandschaften zur Zeit bestellt ist, ist Gegenstand dieser Serie. Während sich Teil 1 (scheinschlag 16/97) mit dem Sterben der Wochenpost und ihren Überresten in der "Woche" beschäftigte, ging es in Teil 2 um das überarbeitete "Magazin" (scheinschlag 20/97). Teil 3 (23/97) stellte eine Studie des Bundesinnenministeriums über ostdeutsche Lokalzeitungen vor.

Lieber Kollege Schütrumpf,

...Sehr gut verstehe ich den Wunsch, den besonderen Blick, der von Ostdeutschen auf die Entwicklung Deutschlands und der Welt in einer Zeitschrift zu vermitteln. Was ich aber nach wie vor ... nicht verstehe: Warum muß zu diesem Zweck ausgerechnet ein "Weltbühne"-Nachfolgeblatt gegründet werden? Brauchen Sie dazu unbedingt die Tradition von Ossietzky und Tucholsky? Sie ... sind herzlich eingeladen, an "Ossietzky" mitzuwirken. ... Sehr gern würde ich Sie an der redaktionellen Arbeit beteiligen. All das könnte "Ossietzky" guttun ... Wenn Sie doch eine Möglichkeit sehen, daß wir nicht zwei "Weltbühnen"-Nachfolger herausbringen, sondern uns auf einen konzentrieren, dann sagen Sie es mir bitte bald ...

Lieber Kollege Spoo,

... Wer heute die Weltbühne wieder aufleben lassen will, rechnet auf die ehemaligen Leser aus dem Osten. Dabei darf er einen Vertrauensvorschuß in Anspruch nehmen, das gehört mit zur Rechnung. Daß es einer West-Redaktion mit Ost-Lesern so gehen wird, wie in allen vorhergehenden Fällen auch, ist eine Einschätzung, die Sie, wie ich unterdessen glaube, ehrlichen Herzens nicht teilen. Alle bisherige Erfahrung spricht aber dafür, daß die Leute aus dem Osten nicht gehalten werden können - nach einem Jahr sind die meisten von ihnen wieder weg. ... Letzten Endes wird der Osten ein weiteres Mal benutzt worden sein. ...

Diese Auszüge einer Korrespondenz zwischen Jörn Schutrümpf und Eckart Spoo sind im Probeheft des "Blättchens" dokumentiert. Der Hintergrund: unabhängig und ohne Kenntnis voneinander bereiteten zwei Herausgeberkreise in West und Ost Nachfolgezeitschriften der 1993 eingestellten traditionsreichen "Weltbühne" vor. Doch der Versuch, zu einem gemeinsamen Projekt zu gelangen, scheiterte bisher. Spoo (Hannover) produziert nun "Ossietzky", die erste Nummer von Schütrumpfs "Blättchen" (Berlin Ost) erscheint am 15. Januar.

Am selben Tag veranstaltet der frisch gegründete "Medienclub Ost (Berlin)" seine erste Diskussionsrunde: ab 20 Uhr soll im Kulturhaus Mitte über "die Zukunft der hiesigen Printmedien" diskutiert werden. Vor dem Hintergrund allgemeiner Verschiebungen der Medienlandschaft wird nach den Chancen gefragt, die die wenigen noch vorhandenen Ost-Medien haben und welcher Art Neugründungen sein müßten, die sich an jene Leserschaft wenden wollen.

Der "Medienclub Ost", eingerichtet vom Arbeitskreis Medien der KulturInitiative 89, ist auch ein Ergebnis des ersten, u.a. von Kulturwissenschaftlern organisierten "ostdeutschen Kulturtages" im Mai letzten Jahres (scheinschlag berichtete). Ausgangspunkt sind die Überlegungen, daß die kulturelle Gesamtsituation immer stärker durch Medien geprägt wird und die heutige Gesellschaft eine Mediendemokratie ist: in den Medien wird entschieden, welche Themen debattiert werden und durch wen, wie Begriffe besetzt werden. Doch Ostler haben es und tun sich schwer in und mit der herrschenden Medienkultur. Der oben in Auszügen zitierte Briefwechsel steht dabei in vielen Details symptomatisch für die Nachwendeentwicklungen in der Presselandschaft. Die starke Unterrepräsentiertheit von Akteuren und Themen in den fast vollständig westlich geführten Medien führt den Medienclub zu den Fragen, ob sich eine Ostkultur halten oder ausbilden sollte, ob es dann eine Sub-, regionale Teilkultur, die "Ostabteilung der allgemeinen deutschen Unterschichtenkultur" oder noch etwas anderes sei. Worin könnten kulturelle Ost-Bestände liegen, die als Gegenpol zur herrschenden Kultur" erkennbar wäre, wer sind ihre Akteure, und wer wäre in der Lage, den Bestand medial zu vermarkten?

Nach der Printmedien-Debatte am 15. Januar werden u.a. auch die oben zitierten Weltbühne-Nachfolger Thema einer der nächsten Medienclub-Debatten sein, zu denen im übrigen nicht nur Mitglieder der Kulturinitiative, sondern alle Interessierten eingeladen sind.

us

Medienclub Ost, 15. Januar, 20 Uhr, Kulturhaus Mitte (Kaminzimmer), Rosenthaler Str. 51, Mitte.

Nächster Teil der Medienserie, die in loser Folge erscheint: "weltbühne", "Ossietzky", "Das Blättchen"

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